Von einem, der auszog…

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Wer die Gewinner sind in Zeiten wie diesen, frage ich mich, wer die Goldherzen hat, die Oscars, aufgereiht zwischen müden Organen, & weiß nichts – rein gar nichts –, so spontan zu erwidern, was sinnvoll wäre, oder, ach, wenigstens nur sinnvoll klingt. Dabei wurde ich erneut, genauer: bereits zum zweiten Mal!, mit dem Liebster Blog Award ausgezeichnet, & zwar von Yuliya. Jetzt bin ich sehr stolz & auch verlegen (allerdings auch sehr verwundert), & versuche mein Bestes – in Zeiten wie diesen.

Liebster Blog Award

Man sagt mir nach, ich würde die Dinge nur verkomplizieren. Ich würde es den Menschen schwer machen, schwer mit dem Essen & schwer mit dem Lieben. Ich würde immer & überall ein Gewicht mit mir herumtragen, das ich in den ungeeignesten Momenten den anderen auf die Füße fallen ließe – manchmal, mit einem schelmischen Grinsen. Ich wäre ein Verwüster, ein Tunichtgut, einer, der auszog, um das Fürchten zu lernen – obwohl er am Ende keinen Eimer mit Fischen ins Gesicht geschüttet bekommt, weil neben ihm keine Frau im Bett liegt, sondern ein anderer Kerl. Ich müsse immer alles kritisieren – nur nicht die eigenen Superlative, & rupfe oftmals solange an den wenigen, guten Haaren bis keine mehr blieben. Wer da also so haarlos durch die Straßen Berlins zieht, ist halb Fabelwesen, halb Hirngespinst, was beides, sind wir mal ehrlich, oftmals rein gar nichts miteinander zu tun hat, aber in meinem Fall angeblich ganz viel. Das aber nur so als Intro. Damit klar ist, wer antwortet.

1. Wie kamst du zum Schreiben?

Das ist einfach: Ich kam nicht, ich war bereits da. Oder anders: Das Schreiben war es, das mir zulief, nicht andersherum. Nein. Vielleicht war das Schreiben eher etwas, das angeflogen kam, wie eine Brieftaube, oder vielleicht war es wie ein Geysir, der mir urplötzlich unter den Füßen ins Freie brach & mit sich mir in die Glieder. Kann das Schreiben etwas wie eine Fähigkeit sein, die man entwickelt – ähnlich dem Schnürsenkelbinden? Oder ist das Schreiben ein Talent, ein angeborenes, wie Gefühlssynästhesie oder Farbenblindheit? (Schau, ich fühle dich beim Tippen, du sinkst in mich ein beim Lesen, wir sind eins in den Wörtern).

Die Wahrheit ist: Ich weiß es nicht. Das Schreiben war schon immer da, war gewissermaßen vor mir. Es zeigte sich als bauchige Buchstaben auf liniertem Papier – in Form meines Namens, & immer: im Namen eines Fremden –, & in der alten Schreibmaschine meiner Mutter, oder Tante, die, grünlich-bläulich, auf dem Küchentisch stand, wo ich auf sie einhämmerte mit ungelenken Fingern & großer Frustration. Das Schreiben war in mir & um mich, noch bevor ich die Bücher entdeckte, es ging mir nach bis zur Schule & saß mir im Unterricht stets zuvorderst auf der Zunge. Wenn ich in der Schule schrieb, schrieb das Schreiben. Nicht ich. Man könnte somit also behaupten, das Schreiben sei im Grunde nicht untrennbar mit mir verbunden, sondern viel eher, dass das Schreiben & ich deckungsgleich – dasselbe – sind.

2. Bevorzugst du eine Art des Schreibens (Lyrik, Prosa, freie Gedanken etc.) & wenn ja, wieso?

Oh, & was, wenn nicht? Ich klopfe stets die Eventualitäten ab, die Möglichkeiten der Sprache. Falls ein Nein fehlt, so könnte doch wenigstens ein Vielleicht – ein Möglicherweise – ein Gegebenenfalls in die Zwischenräume schlüpfen & sie, atmend & im Atmen wachsend, erweitern bis sie groß genug sind, um alles zu fassen, was Sprache ist. Ich bevorzuge, was möglich ist. Alles andere ist eine Zumutung. Andererseits bin ich ein furchtbarer Amateur & weiß von den Arten des Schreibens ungefähr so viel wie vom Kriegführen: Wer die falschen Waffen wählt, verliert. Warum also nicht einfach alle wählen?

3. Hast du ein Lieblingswort?

Nicht eines, viele. Hagelzucker beispielsweise, eine süße Härte, eine Gewalttat der Sinne. Davor war es Shoah, die trug ich bitter zwischen den Zähnen. Dass die Wörter oftmals nur in einem furchtbaren Kontext existieren können & dabei Grausames in sich verstecken, macht sie umso reizvoller für mich. Was nicht heißt, dass ich nur Tod & Verderben sammle. Ich mag Schlüsselwörter & Allegorien, mag den Geschmack der Sehnsucht im Mund & die Weberknechte als Wimpern an beiden Augen.

4. Welche drei Lieder oder Musikstücke hörst du zurzeit am liebsten?

Aus meiner Spotify-Musikliste, chronologisch zur Sucht gestapelt:


1. Romare – Come close to me


2. SOHN – Conrad


3. Muddy Monk – Si l’on ride


5. Hast du mal selbst Musik gemacht oder machst du Musik?

Ich habe mal in einem Traum eine Oper geschrieben, ich hab sie sogar aufgeführt. Sie war ein Meisterwerk. That’s it.

6. Welches Buch hat dich besonders inspiriert?

Inspiriert? Zum Schreiben, zum Leben? Ich wünschte, ich könnte das auf irgendwas begrenzen, könnte mit Garn bespannte Stöckchen in die Erde rammen, um den Rahmen abzustecken – stattdessen fallen mir nur ganze Namenslawinen ein, die alles unter sich begraben: Die Stöckchen, das Garn, mich. Ich kann mich nicht entscheiden. Es beginnt vermutlich mit Virginia Woolfs Mrs. Dalloway, das hat mich beeindruckt, gleichzeitig aber auch die Biografie von Hermione Lee über Virginia Woolf; ich wurde elektrisiert von Bolaños Wilden Detektiven, von Kafkas Verwandlung (& auch von seiner Strafkolonie, über die seltsamerweise immer noch viel zu wenige Menschen reden); Elias Canettis Blendung hat mich schlichtweg aus den Socken gehauen, ebenso wie Safran Foers Everything is illuminated. So gut wie alles von Herta Müller hat mich inspiriert. & die Kassandra von Christa Wolf. Ich kann aber vermutlich endlos Büchernamen & Autoren aneinander reihen. Das Buch, was mich (bisher) am meisten beeindruckt hat – wenn ich das so sagen kann –, war allerdings Adrienne Mesurat von Julien Green.

7. Was magst du am Tag, was an der Nacht?

Tags. Es gibt die Tage im Frühling, wenn der Himmel das erste Mal wieder aufbricht – gefühlt: seit Beginn der Wetteraufzeichnungen –, & die Sonne, wie gestoßen, zwischen die Wolken fällt als weißgelbe Kugel, & wenn es zuvor geregnet hat, dann riechen die Straßen wie frisch gewaschen. Ich mag den Geruch des Tages, die Bäckereien, mit denen alles beginnt, die jede Fußgängernase in Kaffee & frische Brötchen tunken, & ich mag auch die Geräusche des Tages: das eilige Rattern der S-Bahnen, ihr Fiepen, das Zeitungsrascheln zwischen den Tagmenschen, die ihrem Tagwerk nachgehen – so, als gingen sie endlos in Kreisen. Ich mag das Essen des Tages, das Auftischen zwischen Frühstück & Mittag, die Gedankenlosigkeit der Gabeln & Messer, dazwischen: ein verschmitztes Grinsen. Tags ist alles sichtbar, plastisch; ich mag das Greifbare des Tages, die Dreidimensionalität der Dinge. Es gibt kein Verstecken. Im Sommer: das Liegen an Seen & im kurzgeschorenen Gras, das einem zwischen den Fingern knistert wie Stroh. Das Licht, das über die Oberflächen brandet & sie vergoldet, das geschieht vor allem im Herbst. Ich mag das Licht des Tages.

Nachts. Mich hat die Nacht geraubt, ich war der erstgeborene Sohn. Ich mag die Geschwindigkeit der Nacht, ihr lautes Dröhnen, ihre Langsamkeit, ihr erstickendes Schweigen. Ich mag, was sie aus den Farben macht – Erscheinungen! – vor allem im Winter, wenn der Himmel & der Boden ziellos ineinander übergehen. Ich liebe die Gleichmacherei der Nacht; sie ist wirklich gerecht. Ich mag ihre Schatten & Geheimnisse, mag ihre Winkelzüge & Intrigen. Die Nacht wartet mit Messern, sie presst Herzen kaputt & steckt Körper zusammen wie Legosteine – die Nacht ist Mörderin & Geliebte: Sie reißt einem die Augen auf im Wahn & schüttet noch Wein nach in jedes unserer leeren Gläser. Ich mag die Ehrlichkeit der Nacht, ihre Gnadenlosigkeit. In der Nacht verlieren Menschen erst das Gesicht, dann ihre Unschuld. Ich mag ihre Gier & den Hunger, der einen überfallen kann, wenn man vom einen Club in den anderen taumelt, morgens um 4. & trotzdem: Es herrscht auch Stillstand, Ruhe, das Vakuum der Schatten. Die Sehnsucht nach dem eigenen Bett. Das Glück zu träumen.

8. Was für einen Blick hast du, schaust du Menschen viel in die Augen?

Manchmal: den Blick getriebener Tiere. Manchmal: den Blick der Manischen, der Depressiven, der Irren, die sich nackt noch angezogen fühlen. Manchmal: verständnislos, unruhig flackernd, ungeduldig. Oftmals: zornig. Selten: angekommen. Ich habe manchmal das Gefühl, ich sehe in Wahrheit weniger mit den Augen – & nein, bitte, kleiner Prinz, bleib wo du bist, ich seh mit dem Herzen auch nicht besser –, als vielmehr mit der Idee des Sehens. Manchmal habe ich das Gefühl, ich würde tatsächlich überhaupt nichts sehen. Das beginnt mit dem Fokussieren – & endet in Unschärfe.

Was den Augenkontakt anbelangt: Ja, oft. Oft aber auch nicht, nein. Manchmal erscheint es mir völlig absurd, dass sich Menschen anschauen müssen, um einander zu sehen (wo wir wieder beim Thema wären). Meine Augen sind gefährlich, oder zumindest wurde mir das damals, zu Uni-Zeiten, von Josh attestiert. In meinen Augen lauere Wahnsinn, sagte er. Wer meinem Blick zu lange standhalte, der verliere sich im Weißblausilberngrau & dem Schwarz meiner Pupillen. Damals habe ich noch darüber gelacht. Heute weiß ich nicht, ob er nicht doch vielleicht Recht damit hat.

9. Das Erste was dir einfällt, wenn ich frage: Was ist das Schönste, was du je gesehen hast?

Das Leben, glaub ich, die Summe der Einzelteile. Ein papierner Schmetterlingssturm des nachts & unter mir eine tanzende Menge. Ein lachendes Kind in der U-Bahn, das mit seinem Gelächter alle anderen Passagiere ansteckt & am Ende, da lachen sie alle. Ein azurblauer Himmel in Barcelona – darunter: kubanische Nutten in zu kurzen, zu bunten Röcken, die mit Don rauchen & mit mir lachen. Zwei Stühle, einer blau, der andere rot, die am Strand von Tel Aviv im Sand stehen, wo Herr Da & ich uns küssen – davor: ein Technicolor-Sonnenuntergang-Wunder.

Mir fallen sofort dutzende, hunderte Augenblicke ein, manche davon schrecklich banal, andere groß & schwer & an den Rändern aus gleißendem Licht. Eine Liebe, die wie ein Blitz einschlägt & das Alte Rom bis auf die Grundmauern niederbrennt. Eine Liebe, die das Bett frisch bezieht. Eine Liebe aus Wahnsinn & Hunger. Meine damalige Mitbewohnerin Greta, die in ihrem seidenen Morgenmantel in der Küche stehend, ihren Minztee brüht & sich die Avocado aufs Brot schmiert. Goldflitter im Haar & Konfetti in jeder der Socken. Das Lächeln meiner Mutter, wenn sie mich nach über einem Jahr Abwesenheit wieder in die Arme schließt. Eine abgeschlossene Geschichte, ein vor Publikum vorgelesenes Gedicht. Ein Teenager in Madrid, der vor den vorüberziehenden Massen der Pride, am Straßenseitenrand, eine Regenbogenflagge hochhält & dahinter: der glückliche Vater.

Alles davon, gleichzeitig, übereinander gelagert, immer.

10. Was würdest du dir selbst gerne mitteilen?

Komm schon, setz dich hin & schreib dein Buch zu Ende. Keine Ausreden mehr. Begegne dem Unbequemen als Läuterung. Du hast genug Angst gehabt in deinem Leben. Es ist Zeit für die Liebe, & auch für die Revolution! Etc., etc.

11. Wie schwer wiegt das Leben?

Gar nicht. Das Leben ist nicht messbar – weder in Herzschlägen, noch in Atemzügen, schon gar nicht in Gewichten. So wie der Ozean keinen konkreten Anfang oder ein definitives Ende kennt, so stellt sich auch das Leben auf keine Waage.


Der Liebster Award kennt Regeln, die sind mir aber, ehrlich & mal ganz unkonventionell gesagt: wurscht, & zwar reichlich. Ich nominiere, wer mir am Herzen liegt. Das wären vor allem: 1. das Fräulein Artischocke, mein persönliches Fräulein Wunder; 2. die Wirsching, aka die Piratenbraut; & last, but not least: 3. die unnachahmliche Candy Bukowksi, die Zunderfrau, die mich immer aufs Neue begeistert.

Meine Fragen sollten harmlos sein, & ich möchte sie auch kurz fassen, damit sich niemand ganze Tage freinehmen muss zum Antworten:

1. Welcher Autor hat dich das letzte Mal berührt? (Im Zweifelfall auch unsittlich).
2. Was kann uns noch retten?
3. Was war dein größtes Scheitern?
4. & was dein kleinster Erfolg?
5. Was davon war im Nachhinein wichtiger & warum?
6. Was ist dein Lieblingsort (in deiner Stadt oder: in irgendeiner Stadt)?
7. Weswegen?
8. Welcher persönliche Gegenstand liegt dir am Herzen & warum?
9. Aus welchem Film bist du aufgestanden & gegangen?
10. 1x dein Beerdigungssong, bitte.

Ewigkeiten, wirbelnd

Über dich gebeugt, tupfe ich Licht dir auf die Lippen.
Gestern noch, da war etwas von der Welt in mir. Heute ist es fort.

1- Ich reiße & zerre an der Schublade bis sie durchbricht in der Mitte & Briefpapier & Textmarker & Bureauklammern fallen durcheinander; ich sitze mit dem Griff in der Hand, wütend. Wie irrsinnig, denk ich. Wie bescheuert. Als Sisyphos schreibe ich, heute & morgen, sitze im Zimmer bei der Sonne & draußen nieselt es leicht. Warte, warte bitte, warte. Kann ich eigentlich beschreiben, wie’s mir geht? Nein. Ich sitze & sitze, das Gesicht gesalbt wie das eines Königs & die Füße dribbeln nackt zwischen Teppich & Parkett; ich bin glücklich jetzt, denn die Liebe streift mich, sachte nur & im Vorübergehen, aber sie hält mir die Hand unter dem Tisch & sie küsst mich morgens sanft auf den Mund, was für ein Aufatmen in jedem Blick, in jedem Gedanken eine neue Möglichkeit, & darin das Lauern: Damaged goods, das sind wir alle, eine Relativierung ganz leicht mit einem Achselzucken kombiniert, wir haben alle unser Haltbarkeitsdatum längst überschritten – & leben doch! Schau wie wir leben. Am Tisch, hier: eingeklemmt zwischen Muskeln & hartem Stoff, da reiben wir uns die Augen als würden wir uns wundern & wundern uns nicht. Abends dann, wenn die Leute müde sind, werden wir wach & lichtern, brennen, schau wir brennen! Mit der Gabel teile ich Kuchen, schneide Paprika, Tomaten & Gurken ganz klein mit dem stumpfesten Messer im Haus & lache bis die Rippen mir schmerzen, denn die Narben sind frisch. Ich bin traurig jetzt. Alles stirbt & verschwindet, so vieles bleibt mir ungesagt. Die Angst tanzt wie Staub, ich atme sie ein, diese Angst, sie geht mir ins Blut: Noch immer nichts erreicht, noch immer nichts geschrieben, was überdauern könnte, denn nur an wen man sich erinnert, lebt ewig, & ewig leben willst du, & vielleicht hast du dich in allem auch getäuscht, in dir & deinen Stärken, vielleicht bist du in Wahrheit doch bloß ein Versuch, eine Schattenkopie vom eigentlichen Menschen, vielleicht scheiterst du langsamer als andre & nennst das dein gutes Recht. All diese Kinder, die deine werden könnten, all diese Weisheit, mit Gold & Myrrhe hergebracht, sie wird vergehen, wenn du sie nicht teilst, also: teile, teil die Angst vorm Krieg da im Osten, der heraufziehen könnte wie ein Sturm, oh ein Sturm, der zieht seine Wolken, & auf der Krim, da regnet es schon. Reden wir von der Angst. Einem Abschnüren aller Möglichkeiten, das ist wie kurz vorm Blutabnehmen, wenn dir da einer den Arm abschnürt mit einem Gurt & das Blut staut sich in deinen Venen, nur sticht niemand in dich, keine Nadel, kein Messer, es ist nur die Welt. Ein großes Scheitern, eine große letzte Wut. Schau wie wir zürnen, trampeln & schreien & den Teller in der Hand wollen wir werfen als könnten wir etwas von uns wegschmeißen, irgendeine Finsternis, die so fest in uns sitzt, festverwoben mit Fleisch & Knochen, ein Organ ist uns die Dunkelheit & sie pumpt, pumpt Leben in unser Herz, das nicht aufhören will, jetzt nicht, nein. Ich bin durchströmt vom Glück, das schwarz ist & grell & am Rand ganz furchtbar scharf. Am Glück schneide ich mich. Am Leben. & blute Gold.

2- Aufgeregt bin ich, morgens, wenn du mich ansiehst & ich dich & alles ist gut, wirklich gut, ohne Scheiß, & ich gehe mutig durch die Straße, obwohl es windet & stürmt, & Plastikmüll, Tüten & Becher, kreiselt hoch in die Luft bis er niederprasselt wie Hagel & im Supermarkt zähle ich das Kleingeld bis es ganz warm wird zwischen meinen Fingern & irgendwie ist nirgends ein Ende. Ich krümme mich gegen die Welt, ein Horizont ohne Wasser & Fels & ohne eine Wolke im Blick, sondern voll mit Bildern & Lärm. Oh wie ich lärme. Wie ich den Lauten selbst noch die Lautstärke nehme & hinausposaune, was schön ist, schön sein muss, es gibt keine Alternative zu diesem einen Hier. Ich lese in den Notizbüchern von alten Ängsten & finde ganz viel Neues darin in jedem Wort. Die Tage vibrieren vor Echos, Erinnerungen. Ich – das ist eine Zeitachse ohne Anfang & auch ohne Ende; ich gehe in alle Richtungen zugleich. Kaufe ein Buch von Blanchot, der schrieb vom Pfeil, der ohne Zielscheibe endlos fliegen mag, einem Pfeil, der nach hinten stürzt wie ein Betrunkener, & ich höre George Ezra dabei in der Endlosschleife:

Wie schön das alles ist, denk ich. Mir ist schlecht vor Hunger & in der Küche warten Nudeln, Ketchup im Kühlschrank, vielleicht ein Gläschen Senf. Alain geht mir dabei durch die Schultern & greift nach Narben, die schmerzen, weil sie echter sind als seine, & ich grinse schief, fast dümmlich. Was für ein Wahnsinn, dass da ein Freund bald heiraten wird & mein Bruder schickt mir meine Nichte als faltbares Bild & ich brenne, lodere, als Fackel zerbrenn ich altes Leid, wie schön! Wie ein Kreisel flieg ich sekundenschnell in jede Emotion, drehe hohl, drehe bis ich falle, umfalle, völlig erschöpft. Müde bin ich. & trinke Kaffee, der zu heiß zum Trinken ist. Gehe, drehe, sitze wieder. Alles gut, wiederholt der Mund. Alles ist gut. Nur nicht das Verb auslassen. Nur nicht den Jetztzustand. Besinnung finden.

3- In manchen Sekunden finde ich eine Ewigkeit, die nahtlos ist wie Träume. Eine übergangslose Ewigkeit, randlos. Eine Ewigkeit, die mir die Hände lenkt, den Mund, die Augen. Eine Puppenspielerewigkeit. Ich sitze dann im Goldlicht meiner Lampen, irgendein Buch in der Hand & ein Glas in greifbarer Nähe. Ich denke nichts, sage nichts, fühle nichts. Ich könnte in diesem Moment genauso gut ein Möbelstück sein, ein Sessel vielleicht. Eine Glasvase. Virginia Woolf. Dieser Moment dauert manchmal nur wenige Sekunden, auch wenn es sich so anfühlt, als wären Tage, Wochen, Monate vergangen, aber die Uhr sagt: 17:06 & das muss natürlich stimmen. Das sagte sie schon vor tausend Jahren. Ich ertappe mich dabei, wie ich die Gedanken anderer denke. Wie ich wiederhole, was ich gelesen habe. Wie ich alte Gefühle wieder fühle. Wie ein Resonanzkörper.

Das ist der Wahnsinn, sagt sie.
Ich sage, es ist ganz natürlich.
Sehnsucht nach: Camus‘ Worten, Eds Honig aus Armenien, Biertrinken mit Rubén. Tanzen.

Heute ist Manganellis Der endgültige Sumpf angekommen. Ich lebe, werde leben, werde gelebt haben. Spurensuche im Staub, das bleibt vielleicht. Irgendwann. Nur jetzt nicht. Jetzt ist es Leben, fuck. Leben.

It must be a wave

Anderer Tag. Gleiche Zeit. Tabletten in ihrer knisternden Plastikhülle. Dazwischen: der Staub. In der Sonne strecke ich mich endlos an die Ränder meiner Augen, damit ich verschwinden kann, & sitze doch am Fenster. Der Wind kitzelt nicht. Ich atme Pollen, die Blumen sein wollen, Bäume atme ich ein & viele Gräser; ich verwandle mich nicht. Stattdessen klicke ich ein Lied weiter.

Lese Cotten. Denke an Hilde Domin, die schrieb, sie lernte das Verlernen, & nehme die Tablette, die mir zu lange auf der Zunge bleibt. Alles bitter jetzt. Gestern wieder Stay gesehen & bemerkt, wie sehr dieser Film meine Konzeption des Geschichtenerzählens beeinflusst hat. Wie sehr Schnitt, Farben, Symbolik meine Denke bestimmen, heute noch – besonders beim Strich, diesem Buch, an dem ich seit fast 6 Jahren schreibe.
„Schreibe“, ich müsste es in Anführungszeichen setzen; es ist ein Stottern in mir, wenn ich mich in die Küche setze, zur Ecke hin, mit dem Notebook auf der vordersten Kante & meine kleinen Absätze runterklackern lasse. Es ist kein Schreiben, als vielmehr ein Bemühen. Ich mühe mich. Nutze mich ab. Sitze ich da & redigiere die letzten fünfzehn Sätze, lösche ich nicht, sondern male über, tapeziere Wände mit Bildern, die weiß sein sollten; manchmal verschwinden auch Fenster dahinter, Türen. Ich kleistere ganze Räume voll mit meinen Stachelwörtern. Nach einer Stunde, oder zwei, bin ich erschöpft, unzufrieden, genervt. Über jede Belanglosigkeit kann ich 10.000 Wörter in der Stunde verlieren. Das, was ich erzählen will hingegen, das braucht 6 Jahre für 30 Seiten.

Seit ich in Berlin wohne, schreibe ich, arbeite mit Text, Literatur, Werbung. Ich sollte also glücklich sein, immerhin ist es das, was ich wollte. Meine Ungeduld werfe ich mir dabei vor. Ebenso wie meine Faulheit. Umso betroffener bin ich nämlich, wenn einer wie Herrndorf den Tod an die Hirnschale klopfen hört & zwei Bücher beendet; gute Bücher, Bücher, die man lesen kann, darf, muss. Bücher, die einem den Arsch retten – können. Warum kann ich das eigentlich nicht?
Habe ich Zeit, arbeite ich nicht am Strich, eine Erzählung, die eine Fingerübung sein sollte, eine Kurzgeschichte bloß, die irgendwann zur Novelle wurde, jetzt zum Roman: zu einem Monstrum mit drei Köpfen. Ich kämpfe gegen diese Geschichte an, so als wäre sie ein Sturm. Sie treibt mich von rechts nach links, wo das Herz schlägt & das Herz schlägt laut, bei jedem Wort schlägt es mir Dunkelheit in die Augen. Habe ich keine Zeit, arbeite ich wie besessen daran. Jeden Abend setz ich mich dann in die Küche, wo J. seinen Speck brät & P. seine Wassergläser auf Eck stellt & wo ich versuche, das Telefonklingeln nicht zu hören, das immer dann losbricht, wenn ich Stille suche, & verliere den Verstand. Morgens, wenn der Sturm vorüber ist, wache ich im Bett eines Fremden auf, mit dem Geschmack von Schwanz auf der Zunge & mit Umdrehungen im Blut, die mir jeden Hunger nehmen & versuche zu begreifen, was da eigentlich geschehen ist. Hungrig geh ich durch die Stadt bis ich nicht mehr gehen kann. Krieche ins Haus, Bett, zurück zu alten Banalitäten. Ist noch Ketchup da? Soja-Milch? Was ist eigentlich mit der Wäsche & wer ist mit Aufräumen dran? Es gibt keine Muster, nur Ausfälle. Das ist das Schreiben am Strich. Ein Ausfallen.

Ehrlich wollte ich sein. Nach der OP, mein ich. Die Grenzen klarer ziehen. Nicht mehr so tun, als wäre ich unsterblich. Fokussierter sein & Transparenz schaffen. Über das Schreiben schreiben, über das Lesen auch. Vielleicht endlich so etwas wie Kontinuität erreichen.

Der Sonne seh ich beim Wandern zu; ich könnte ihren Weg durch mein Zimmer aufzeichnen, so genau weiß ich, wo sie als nächstes den Staub beleuchten wird. Seltsam, dass ich auch jetzt nichts machen kann, dass die Erschöpfung mich abschält von jeder Ambition. Wieder: Herrndorf, gerade in Arbeit & Struktur. Jetzt, da ich auf meine eigenen Ergebnisse warte, der gleiche Gedanke: Wüsste man von seinem eigenen Todesdatum, man wäre viel produktiver. Keine Zeit verschwenden, machen. Daran denke ich. & an Wyndham, der mir eine kurze Nachricht schreibt auf meine Sexton, die auch als Antwort mir zurückkommt:

Love? Be it man. Be it woman.
It must be a wave you want to glide in on,
give your body to it, give your laugh to it,
give, when the gravelly sand takes you,
your tears to the land. To love another is something
like prayer and can’t be planned, you just fall
into its arms because your belief undoes your disbelief.

Die Wellen, das Meer & die Stürme, plötzlich: die Sehnsucht nach Blau. Die Sehnsucht nach Virginia Woolfs Leuchtturm, der unter der Gischt glitzernd sich in Richtung Himmel streckt, endlos an den Rändern. Um zu verschwinden vielleicht. Oder um sich zu finden.