Alles, was Licht ist

1.
Was man ihm gibt, das macht er zur Hitze; die ganze Welt zerschmilzt ihm zwischen den Fingern, & er? Zuckt mit den Achseln. Im rot-weiß-rot-blau-rot-grün-gestreiften Hemd steht er unter der Lichtgirlande & hält sich die Rippen. Welches Herz schlägt dir den Takt, welcher Gedanke hält sich bis morgen? Kein Verfallsdatum sagt, wann uns die Beziehung schlecht wird unter den Händen. Wir schmecken die Schimmelsporen nicht, die uns auf den Lippen liegen. Die Fäulnis, die gärt & gärt, die nicht wartet bis einer sie freilässt, die irgendwann von ganz allein losbricht & mitreißt, was ihr im Weg ist. Das ist der Gang der Tage, der Korridor, in dem ich irre: Eine Tür nach der anderen tut sich mir auf & irgendwer nennt’s Zukunft & Möglichkeit. Ich hingegen weiß überhaupt nichts mehr zu benennen. Alles Gold zerfließt zur Schwärze, alles Berühren zu Knochen & Staub.

Ich stehe neben ihm, wische mir die Mayonnaise vom Mund & wünschte, es wär die Übelkeit. Die Nacht ist lau, die Leute sind fröhlich. Im Club hatte ich ihn gesehen, zwischen den Menschen der von Gott Beschützte, ein Pistazienkern zwischen leeren Schalen, & ich, der ich im Wirbel sein wollte, blieb wie verwurzelt, wie Wachs, das erkaltet – so erstarrten Füße & Hand -, & noch der Mund wollte mir stillstehen vor Schock. Wie lange —

Die Bewegung von Körpern trägt ihn fort, wie ein Maul verschlingt sie ihn, & lässt mich sprachlos inmitten des Lärms. Was tun — was lieben? Die Finsternis klopft nicht an Augen & Mund, sie schlägt sie ein, nimmt jeden Gedanken. Zum Teufel mit dir. Trink das Glas leer & trink noch ein zweites, tanz, Arsène, tanz, & vergiss jeden Kummer. Durch die Menschenreihen geh ich, groß & mit durchgestrecktem Rücken, die Schultern breit & den Kopf gereckt, ich beuge mich nicht. Die hungrigen Blicke streifen mich, Arroganz, Spott, Habsucht; jemand berührt mich am Arm, an der Hüfte der nächste, jemand lacht mir warm in den Nacken & gibt mir Namen aus Stein; sie zupfen & zärteln, sie streichen mir das Haar aus der Stirn & spitzen die Lippen zum Kuss, wie Pfeile fliegen diese Münder mir entgegen. Sie treffen mich nicht. In Rüstung & Harnisch geh ich durch die Räume, die mir ihre nackte Haut ist, ihr Schweißdampf & Hunger, ihre Körper, die wie Ware ausliegen & nach den billigsten Käufern verlangen, & suche, suche, immer suche ich nach seinem Gesicht, den Augen, & finde ihn nicht. Stattdessen stößt mich wer vor & treibt mich zurück, eine Hand am Arm & eine an der Hose beim Knopf, ein Lächeln in einem Fratzengesicht. Na du? Wohin so schnell? Die Hand würd ich ihm abschlagen, hätt ich das Messer; den Arm aus dem Gelenk reißen, & die Schulter vom Rumpf. Wohin schon? Nicht zu dir. Eine Fliege, die sich einem beim Schlafen aufs Auge setzt, könnte nicht lästiger sein. Komm schon, fühl mir die Muskeln, & nichts als feuchtes Schmatzen im Mund, wo ein Schwanz sein will. Weg, weg. Die Hand löst den Knoten am Arm, & öffnet die Schwingtür. Draußen ist der Himmel ganz klar. Irgendwo lacht irgendwer; & ich kenne dieses Lachen, ich kenne den Klang. Eine Straße weiter find ich ihn.

Wie er da steht, unter der Lichtgirlande & wartet. Unschuldig, jung, ein Kind noch in einem Männerkörper, & grinst beim Essen. Ich stehe eher unbeteiligt daneben. Seltsam, wie die Erinnerungen zurückkehren, der Rausch in den Adern. Wie man sich etwas vormacht, weil man dem Gefühl einen anderen Namen gibt, weil man Lotos nimmt & Lethe trinkt, & im Vergessen das Glück sucht – aber man vergisst nicht. Man verdrängt. Gold im Wasser, so schwimme ich an der Oberfläche, & nenne es Alltag & Leben, nur Wahrheit nenn ich es nicht. Seine Hand stört die Stille der Brunnen, nicht Telubor; es ist der andere, der sich über den Rand beugt wie Unglück, & Wirbel, & Hunger; er ist der Zeiger der Uhr, der einem den Verfall in den Leib dreht, das unverlöschliche Verstreichen aller Augenblicke, den Tod selbst noch bringt er mir, er & sein Pommespieker. Angestautes tritt über die Ufer, Fäulnisgase suchen ein Ventil. Ich stehe neben ihm & fühle das Beben, das mir den Mund schüttelt & jedes Wort: Was kann man sich eigentlich sagen, ohne dass es leer wird & lau? Welchem Gefühl kann man nachgeben, ohne dass man sich dabei letztlich selbst betrügt? Atme. Im Halbschatten: sein Blick. Die Hitze. Nein. Atme. Atme mehr. Wenn das Wissen nicht wäre, das plötzlich aufsteigt aus der Tiefe, aus den Tagen & Monaten, aus dem halben Jahr zwischen den Stunden – dieser eine Moment hier, der reicht aus, um alles in Frage zu stellen, was bisher geschehen ist. Die Erkenntnis, die ausholt zum Schlag: Er ist Grund & Ursache aller Zustände, Summe aller Dunkelheiten, Antwort auf jede Frage: Dein Unglück hat einen Namen, deine Sabotage einen Grund.

2.
Der Liebe geht man nach bis ihr wer in die Fersen tritt. So sitze ich neben ihm. Die Luft im Wagen ist müde, ist angestrengt & dick, & draußen feiern sie die Nacht. Straße um Straße rollt sich die Stadt vor uns aus, ein ewig roter Teppich aus Neonlicht, & Menschen; alle wollen tanzen & trinken zu viel. Im Taxi spricht keiner. Nur mein Blut, das schreit, schreit pausenlos; Vodka peitscht es auf. Wie einfach wäre es gewesen — Hätte der Mund nur etwas zu sagen gewusst — Wäre die Hand mutiger im Greifen —

Die Wahrheit? Das Unglück ist das Unglück von Liebenden, alle Unzufriedenheit ein Mangeln. Wie oft habe ich mir die Augen zu Klingen gemacht & um einen Blick gekämpft, wie oft ist mir alle Luft ausgegangen beim ersten Wort, beim Hallo & Na wie geht’s?, & sprach ich am Ende nicht am längsten? Ruhelos, & ziellos geht mir der Kopf ungleich eines Herzens, jeder Schritt führt mich im Kreis. Sagt er. Was heißt schon Lieben? Sag ich. Was heißt schon Wollenkönnen, wenn’s das Müssen ist, das uns treibt? Hamburg. Das gibt ein anderer zur Antwort, & breitet allen seine Zukunft aus – mutig muss man sein, ein Gott, ein König & ein Heiliger, einer, der allen Stolz sich bereithält für den einen großen Tag: Dann, wenn die Entscheidung die Monate & Jahre zurück in Kisten packt, die Erinnerung, die gute Zeit – alles verstaut in Watte & Luftpolsterfolie, in Bilder & Geruch – ein ganzes Leben gibt man fort für den Ausblick auf Sonne. & niemand bereut je Glück. Ich steige irgendwann aus, noch mit dem fremden Lächeln im Gesicht, das er mir gegeben hat, & suche nach dem Schlüssel. Was, wenn es das jetzt ist – die Abfolge von Möglichkeiten, die Zukunft, die sich auftut wie ein Mund, wie Lippen zum Kuss? Der Schlüssel ist kalt, die Hand zittert noch vom Suff. Was, wenn alles in diesem Moment zusammenkommt? Sein blindes Auge & die Windräder am Horizont, die Traurigkeit abends kurz vor acht, die Euphorie mittags um 12 – das Herz im Anschlag & die Gier zwischen den Zähnen, jedes Sehnen. Wenn jetzt alles ist, jeder Tag & jede Nacht, der Tanz mit den Mänaden: Funken schlägt mir das Blinzeln, die Finger kribbeln warm. Tür auf, Tür zu, jetzt folgen Treppen, links, & die nächste Tür. Im Flur steht Joseph; er ist halb Nacht & Wand, sein Körper verliert sich im Funkeln der Schatten, aber er ist da, steht mit einem Glas Wasser in der Mitte des Raums, ganz dicht bei der weißen Kommode, & erinnert an Wild, das vom Scheinwerfer des Autos geblendet, auf der Straße erstarrt bis es erfasst wird. Ich habe vergessen, dass er wieder hier ist, sein dunkles Haar, seine Augen, seine Arme hab ich vergessen; den Geruch von Sägespänen & Meer. Zoey hab ich vergessen. Ihre stille, weiche Liebe, in die ich mich legen konnte wie in ein gemachtes Bett. Die Wunden, die wir uns schlagen – sie heilen nicht, sie vernarben, sie adeln unsren Kampf, sie krönen unser Scheitern.

Er sagt nichts, zupft sich nur die Hose zurecht auf dem Hüftknochen, streicht sich über den Bauch & grinst; ich hingegen, ganz Vodka & Zigarettengestank, möchte ihm alles erzählen, alles, den ganzen Tag & die Stunden zuvor, vom anderen will ich erzählen, von Hamburg & dem Brechen der Wellen, vom Möwengeschrei meiner Gedanken, vom Chaos, das mich umtanzt, aber wie er da steht, ganz Körper & Warten, ein Geist, der durch Wände geht & Herzen, so vergess ich alles. Jedes Wort bleibt ungesagt. Stattdessen: Geschwindigkeit, & Teilchen, die kollidieren; ein plötzliches Verschmelzen. Mein Pullover & die Hose, das T-Shirt, Socken, nichts bleibt, alles fällt den Händen entgegen, heißer Haut. Was heißt schon Lieben? Zoey, wie sie ins Croissant beißt & das angebissene Croissant auf die Tischkante legt, links neben das Feuerzeug, neben die Tasse mit lauwarmem Kaffee, & die Sonne weißt die Küche, hellt ein ganzes Leben. Was es heißt? Diese verlorene Ruhe, dieses heimliche Glück. Joseph, der die Tomaten schneidet, die Gurken für den Salat, seine Haut in diesem Licht, seine grünen Augen; eine Liebe, die überlaufen will an allen Rändern, die sich überhäuft & überhäuft, die nicht genug hat vom Geben – wie kann ein Mensch das vergessen? Es ist im Küssen, & Umarmen; etwas, das das Dunkeln vertreibt, etwas, das alles wieder klar macht & ruhig. Atme. Heile. Der Raum, der so viel Kummer gesehen hat, schiebt sich in die Ferne & füllt sich mit Licht. Das ist es, sag es dir ruhig selbst, das ist alles, was bleibt. Alles, was Licht ist.

Ertrinkende

Die Tage reichen einander Hände & Stimmen; dazwischen wartet der Lärm. Ich schlafe schlecht & zusammenhangslos. Nichts ergibt Sinn. Im Gegenteil. Mit Gewalt brechen die Horden über mich herein; ihr Zigarettengestank, ihre verschwitzten Körper. Im Auge den Hunger reden sie noch vom Finden der Liebe; sie reden & reden, den ganzen Tag schlagen sie einem klein & nennen’s das Leben. Immer bleibt mir ihr Stöhnen, das Schlüsselumdrehen, das ausgeleierte Schloss. Sie gehen nicht. Nicht im Guten, nicht im Schlechten; sie bleiben beieinander & warten. Die Müdigkeit werfen sie mir nach; wie Werbeprospekte kommt es ungefragt in mein Haus; stapelt sich; ungelesen, ungeliebt; nein, das ist es nicht, so soll es nicht, nein. Was aber tun? Was wollen, was verweigern im Rausch?

Telubor, das ist dein Stichwort, los.

So kommt er aus den Schatten, aus Asche & Staub, Telubor, die Jahre vergingen im Flug. Wie ein böser Geist sucht er mich heim; seine dichten, schwarzen Augenbrauen, sein lauernder Blick. Er kommt plötzlich, ein Gewitter könnte nicht plötzlicher sein. Groß & schlank, ein Dämon im Spiel. Die Treppen hüpft er hinab, Stufe für Stufe, bis der Boden zerbricht. Die Stille beim Sitzen am Brunnenrand stört er auf; er zerschlägt den weichen Wasserspiegel zu Scherbenwellen, die auf- & niederhüpfen, die einem die ganze Welt zerteilen in Oben & Nichts. Stachelbeerküsse bringt er unter grauenden Himmeln, Telubor, oh du mein Unglück – sieh: so folgt mir niemals ein Ende, kein Anfang, nichts, nur der sanfte Biss in den Kuchen, der dein Mund ist; es sättigt mich nicht. Wir gehen, & warten bei jedem Schritt. Wir reden & füllen die Worte mit Schweigen – wie Luftballons steigen sie uns zu Kopf & machen uns lachen. Heliumstimmen – Heliumleben: Wir fliegen auf bis noch der Himmel sich unseren Augen ergibt, bis kein Geheimnis mehr bleibt, nur die Ahnung der Menschen.

Was ist denn, wie geht‘s dir, sag doch mal was. Seine Gier schüttet er mir ins Wasserglas & nennt‘s einen Sturm. Ich hingegen, ich dürste. Dürste ein ganzes Leben nach mehr, als bloßem Wasser – wie ein Stoß mitten ins Herz so erlöst mich mein Wollen. Die Sehnsucht des Windes nach Widerstand ist ungebrochen. Das heißt: Freiheit. Bitte, Telubor, lass mich frei sein & ungebunden; lass mich dir entgegen stürzen wie eine Flutwelle an ihrem höchsten Punkt & dich zurück ins Dunkel meiner nimmer-satten Augen treiben. Nein? Was denn noch? Die Sonne gibt uns nur Wahn & den Schweiß auf der Haut; schläfrigen Überdruss; belanglose Gespräche. Wen hat sie getroffen, mit wem geschlafen, wie heiß war es das letzte Jahr & wie kalt wird wohl der Winter, wo lässt sich essen & wie viel muss man bezahlen für so einen Bissen vom Glück – gibt es denn wirklich nicht mehr als das? Ist das alles, alles was wir bekommen?

Telubor lacht. Es klingt wie Vorhangrascheln, Flügelschläge, wie Erde, die man zur Erde legt. Wer kann dir standhalten, wer weiß es auf Dauer? Den Sturm im Wasserglas trinkt jemand anderes, natürlich nicht ich. Ich dürste nach mehr. So fährt der Wind zwischen die Bücher & scheucht allen Staub.

Sag es!

Es ist nicht genug. Muss man denn nicht nachgeben, wenn der Druck zu groß wird in Lungen & Herz, muss ein Mensch nicht dabei auseinander reißen – ganz genau in der Mitte – ein Spiegel ohne Halt – & zerspringen zu Licht? Muss man nicht den Kopf senken, & für jeden Frevel büßen, für jeden falschen Tritt ein Ave Maria, ein Rosenkranz & dann der Spott für die Sünder? Es ist nicht genug, nein. Später lachen wir nervös über all unsere Unsicherheiten. Wiederholen, was uns die Welt rät: Blut & Blut, & Kummer & Leid – so ticken uns die Uhren die Zukunft herbei.

Sag es!

Der Liebende ist ein Egoist, ja, denn es ist nicht genug, dieses Leben ist zu klein für ihn, & trotzdem will es überlaufen, voll & immer voller werden, verströmen zwischen den Fingern, Telubor, nein, schau, wie alles aufbricht, all die Dämme, die man sich baut, all das gewesene Leben, all die Vergangenheit, die man sich errichtet zu Stein, & dann stößt sich jemand, jemand rempelt & kommt zwischen die Räder, geht ab. Da sind sie schließlich, die blauen Flecken, die Narben an Ellbogen & Fuß, das Grab unter dem Baum. Wer will da nicht heulen, wie ein Schlosshund zwischen schwarz gebrannten Ruinen, ein letzter Überlebender einer längst vergangenen Zeit? Zurück, Telubor, nein, nur hört er mich nicht. Stattdessen nimmt er mir die Hände aus den Hosentaschen & den Stachelbeerkern von der Zunge im Kuss; er nimmt mir das Licht von den Wänden & taucht mich unter, in Ophelias Wasser taucht er mich ein, & donnert, & lacht. Es klingt jetzt wie berstender Stahl.