Ertrinkende

Die Tage reichen einander Hände & Stimmen; dazwischen wartet der Lärm. Ich schlafe schlecht & zusammenhangslos. Nichts ergibt Sinn. Im Gegenteil. Mit Gewalt brechen die Horden über mich herein; ihr Zigarettengestank, ihre verschwitzten Körper. Im Auge den Hunger reden sie noch vom Finden der Liebe; sie reden & reden, den ganzen Tag schlagen sie einem klein & nennen’s das Leben. Immer bleibt mir ihr Stöhnen, das Schlüsselumdrehen, das ausgeleierte Schloss. Sie gehen nicht. Nicht im Guten, nicht im Schlechten; sie bleiben beieinander & warten. Die Müdigkeit werfen sie mir nach; wie Werbeprospekte kommt es ungefragt in mein Haus; stapelt sich; ungelesen, ungeliebt; nein, das ist es nicht, so soll es nicht, nein. Was aber tun? Was wollen, was verweigern im Rausch?

Telubor, das ist dein Stichwort, los.

So kommt er aus den Schatten, aus Asche & Staub, Telubor, die Jahre vergingen im Flug. Wie ein böser Geist sucht er mich heim; seine dichten, schwarzen Augenbrauen, sein lauernder Blick. Er kommt plötzlich, ein Gewitter könnte nicht plötzlicher sein. Groß & schlank, ein Dämon im Spiel. Die Treppen hüpft er hinab, Stufe für Stufe, bis der Boden zerbricht. Die Stille beim Sitzen am Brunnenrand stört er auf; er zerschlägt den weichen Wasserspiegel zu Scherbenwellen, die auf- & niederhüpfen, die einem die ganze Welt zerteilen in Oben & Nichts. Stachelbeerküsse bringt er unter grauenden Himmeln, Telubor, oh du mein Unglück – sieh: so folgt mir niemals ein Ende, kein Anfang, nichts, nur der sanfte Biss in den Kuchen, der dein Mund ist; es sättigt mich nicht. Wir gehen, & warten bei jedem Schritt. Wir reden & füllen die Worte mit Schweigen – wie Luftballons steigen sie uns zu Kopf & machen uns lachen. Heliumstimmen – Heliumleben: Wir fliegen auf bis noch der Himmel sich unseren Augen ergibt, bis kein Geheimnis mehr bleibt, nur die Ahnung der Menschen.

Was ist denn, wie geht‘s dir, sag doch mal was. Seine Gier schüttet er mir ins Wasserglas & nennt‘s einen Sturm. Ich hingegen, ich dürste. Dürste ein ganzes Leben nach mehr, als bloßem Wasser – wie ein Stoß mitten ins Herz so erlöst mich mein Wollen. Die Sehnsucht des Windes nach Widerstand ist ungebrochen. Das heißt: Freiheit. Bitte, Telubor, lass mich frei sein & ungebunden; lass mich dir entgegen stürzen wie eine Flutwelle an ihrem höchsten Punkt & dich zurück ins Dunkel meiner nimmer-satten Augen treiben. Nein? Was denn noch? Die Sonne gibt uns nur Wahn & den Schweiß auf der Haut; schläfrigen Überdruss; belanglose Gespräche. Wen hat sie getroffen, mit wem geschlafen, wie heiß war es das letzte Jahr & wie kalt wird wohl der Winter, wo lässt sich essen & wie viel muss man bezahlen für so einen Bissen vom Glück – gibt es denn wirklich nicht mehr als das? Ist das alles, alles was wir bekommen?

Telubor lacht. Es klingt wie Vorhangrascheln, Flügelschläge, wie Erde, die man zur Erde legt. Wer kann dir standhalten, wer weiß es auf Dauer? Den Sturm im Wasserglas trinkt jemand anderes, natürlich nicht ich. Ich dürste nach mehr. So fährt der Wind zwischen die Bücher & scheucht allen Staub.

Sag es!

Es ist nicht genug. Muss man denn nicht nachgeben, wenn der Druck zu groß wird in Lungen & Herz, muss ein Mensch nicht dabei auseinander reißen – ganz genau in der Mitte – ein Spiegel ohne Halt – & zerspringen zu Licht? Muss man nicht den Kopf senken, & für jeden Frevel büßen, für jeden falschen Tritt ein Ave Maria, ein Rosenkranz & dann der Spott für die Sünder? Es ist nicht genug, nein. Später lachen wir nervös über all unsere Unsicherheiten. Wiederholen, was uns die Welt rät: Blut & Blut, & Kummer & Leid – so ticken uns die Uhren die Zukunft herbei.

Sag es!

Der Liebende ist ein Egoist, ja, denn es ist nicht genug, dieses Leben ist zu klein für ihn, & trotzdem will es überlaufen, voll & immer voller werden, verströmen zwischen den Fingern, Telubor, nein, schau, wie alles aufbricht, all die Dämme, die man sich baut, all das gewesene Leben, all die Vergangenheit, die man sich errichtet zu Stein, & dann stößt sich jemand, jemand rempelt & kommt zwischen die Räder, geht ab. Da sind sie schließlich, die blauen Flecken, die Narben an Ellbogen & Fuß, das Grab unter dem Baum. Wer will da nicht heulen, wie ein Schlosshund zwischen schwarz gebrannten Ruinen, ein letzter Überlebender einer längst vergangenen Zeit? Zurück, Telubor, nein, nur hört er mich nicht. Stattdessen nimmt er mir die Hände aus den Hosentaschen & den Stachelbeerkern von der Zunge im Kuss; er nimmt mir das Licht von den Wänden & taucht mich unter, in Ophelias Wasser taucht er mich ein, & donnert, & lacht. Es klingt jetzt wie berstender Stahl.