Zunder & Reisig

1.
Bestimmung: Das Kopfhörerkabel, das sich verknotet. Unsere Beine. Am Morgen: das weiße Licht hinter den Vorhängen, die Straßen ohne Menschen, aber einer, der nackt ist, am Fenster, die Hände am Sims. Halt! Schau bitte mal genauer hin: Seine Haut, your caramel skin, schimmert, seine Muskeln, die Haare kräuseln sich schwarz. Wie schön du bist, denk ich, wie wunderschön. Ich liege auf der Matratze – wir haben sie in die Mitte des Raums geschoben, die Decken sind zerwühlt, die Laken noch feucht –, & sehe ihn, am Fenster steht er & schaut nach draußen, & ich bin stumm. Er lässt den strengen Winter ins Haus, den kalten Wind & das Licht, das ganz weiß ist & ohne Zittern. Ich liege auf der Matratze, nackt unter dem Rot, & mein Lächeln ist schief. Das ist jetzt. Das ist das Glück.

Später verhaken wir uns ineinander, unsere Arme & Beine, die Wimpern. Wir erzählen uns alte Mythen neu, vom Lieben & Verlieren, von den Tagen des Donners. Da liegt einer, der legt mir seinen Kopf auf die Brust & freut sich über die Lungen im Innren, über mein Herz, & ich, der ich nachts träge werde vom Sprechen, küsse ihm mundwarme Wörter auf die Lippen. Wir schmecken einander. Überstürzen einander. Wir? Ein du. Ein ich. Zusammen: die Angst.

Was, wenn — warum — wie? Keine Antworten. Das, was geschieht, ist eine Gradwanderung der Ängste: Es gibt keine Regeln. Da sind nur Gefühle, die sich selbst nicht benennen können. Ich mag dich wird zu Ich hab dich lieb wird zu Ich liebe dich wird zu Ich mag dich sehr, und wir wissen beide nicht, was davon stimmt – alles? nichts? Das, was ist, stürmt. Die Sätze springen durcheinander, jedes Wort will in eine andere Richtung. Bin ich dein Trostpflaster, bist du meines? & falls ja: Was bedeutet es?

Er sitzt am Computer, es ist Mittwoch & die Nacht ist hell, & wenn er aufsteht in seinen fünf Minuten-Pausen & zu mir kommt, um mich zu küssen, wache ich auf. Drüber & drunter & drüber. Ebenbürtig, denk ich, & greife ihm an die Stirn, die fest ist & warm, & wundere mich kaum über das Vibrieren, das meine Fingerspitzen durchzittert. Seine Augen verraten jeden Zweifel, jedes Blinzeln: ein Gedanke; wie rastlos, wie getrieben vom Morgen. Ich habe eine Aussicht auf Wolken, aber das ist schon okay. Liegen wir beieinander, fühlt es sich richtig an, vielleicht nur für den Moment, vielleicht für so was wie immer, keine Ahnung. Gibt’s da denn noch einen Unterschied?

2.
Ich finde mich in einem neuen Leben; es ist, als hätte ich bis jetzt geschlafen. Da sind so viele Anforderung – ein neuer Job, ein neues Lernen.

Um 6 Uhr sitze ich mit dem Kaffee am Schreibtisch & der Morgen ist schwarz & klamm & die Haut dampft noch vom Duschen. Drei Stunden: Bücher wollen gewälzt werden, sie sind mir wie Teig; ich backe mir Wissen. Eine neue Werbebranche gilt es zu durchdenken, eine neue Redaktion zu gründen, da treffe ich jeden Tag auf neue Menschen & Ideen, finde neue Listen. Drei Stunden: Gedichte (Rosa Ausländer) & Patti Smiths Gedanken; ich höre Jimi Hendrix & Janis Joplin, erstaunlich viel Bob Dylan. Die Musik, die mich umgibt, schafft weite Räume. Darin: all diese Namen. Abends stehe ich manchmal in der Küche & umarme ihn beim Kochen von hinten & weiß, dass alles nur geliehen ist, dieser Moment & auch die andren, dass dieses Leben auf eine Weise heilig ist, die mir bisher verschlossen geblieben ist: Es ist eine einmalige Heiligkeit, etwas, das jederzeit erlöschen kann.

& da ist dieses Wollen, das sich hochwälzt in den Adern – es muss im Blut sein, wo sonst? –, das durchs Gehirn schießt & in die Augen, dort wird es zu Farben. Ich hungere der Wörter. Neuer Impulse. Es reicht nicht, all das. Es reicht noch lange nicht. Ich habe weniger geschrieben als ich hatte wollen, habe viel gelesen, habe mich ausgeschwiegen im Glück, denn das ist, was ich mir verdient haben will: Glück.

Aber Glück ist kein Zustand. Es ist ein Tanz in goldnem Flitter. Wer Glück hat, findet das glitzernde Konfetti noch nach Wochen in Haaren & Wäsche. Der findet es in den Parkettrillen & in den Sofaritzen. Glück & Liebe & das Vernarrtsein in beides sind Episoden, sind Töne in vielstimmigen Melodien. Oder anders, weniger glückskekspauschal – Atemholen zum Schweigen, hier: ein Seufzen. Nein, es geht nicht kleiner. Ich bin einer, der nimmt solange vom Essen bis die Teller leer sind. Entweder ganz oder gar nicht, bitte, auf dein Mittelmaß ist geschissen.

Ich arbeite jetzt bis nachts, erbitterter denn je, & schlafe vier Stunden & wenn er bei mir ist & die Nacht als Finger an unseren Schwänzen, dann soll der Morgen doch als harter Boden auf meinen Aufprall warten. Ich weiche nicht zurück. Welchen Preis ist einer bereit für die Liebe zu zahlen? Was will einer wie ich erreichen, wenn er nicht kämpfen will? (Im Hintergrund: ein verlegenes Hüsteln).

3.
Achja. Da war ja noch diese kleine Gruppe, die besorgt ist meinetwegen. Die Köpfe schütteln die sich wund, da ächzen schon die Wirbel. Es stimmt nicht, was die sagen. Sie mit ihren richtigeren Lebensentwürfen, ihrem Besser-geht’s-immer. Zum Weckerstellen raten sie mir, zum Urlaub auf dem Balkon, zu ausreichendem Sport & gesundem Essen. Sie zitieren Philosophen, die sie nie gelesen haben, sagen: Maß trägt aller Tugend Krone, sagen: Zu viel ist ungesund. Altväterliches, selbstgenügsam in Zellophan gewickelt. Was wissen die schon, sag mal? Welche Welt ham die sich geschaffen? All die erfolgreichen Finanzberater & Bankangestellten, die Wirtschaftsweisen in ihren Glastürmen, die Politiker in ihren maßgeschneiderten Businessuniformen, Firmenchefs mit trockenen Stimmen – was ist für die ein glückliches Leben? Was ein geglücktes?

Sie sagen, ich solle mich zusammennehmen; sie sagen es ständig. Ich solle es langsam angehen lassen. Langsamer als was? Wer bestimmt denn die Geschwindigkeit? Wer die Mengen?

Die Wahrheit ist einfach: Ich will leben, leben auch um jeden Preis. Wild & frei & ohne zu zögern. Ich will brennen können, will selbst Reisig sein & Zunder, will mich entfachen können. Jetzt: ein Flammensturm. Ich kenne die Gefahren & nehme sie in Kauf. Leichtfertig? Ob das leichtfertig ist? Nein, natürlich nicht. Die Angst vorm Riskierenmüssen ist da, immer, ich kann sie nicht justieren, aber überwinden muss ich sie – hier sind die Fehler, hier die Geduldsproben, neue Versuche. Angst ist keine Weltanschauung (Kurt von Hammerstein), ganz genau. Es ist nichts, worauf sich aufbauen ließe. Die Angst vor Enttäuschungen, die Angst vorm Scheitern, die Angst vorm gebrochenen Herzen – das sind keine Grundlagen. Ich will nicht jedesmal versteiern, sobald es um ein neues Risiko geht. Nicht vor den neuen Aufgaben, nicht vor all dem vielen Wissen, das noch in meinen Kopf muss, nicht vor ihm – schon gar nicht vor ihm –, & nicht vor mir selbst, der stets beherrscht wird von Angst & Zweifel. Ich weiß, dass ein Tag mehr ist als nur Erschöpfung & Ohmacht, ein Tanz über den Tiefen. Ich darf es nur nicht ständig vergessen.

4.
David Bowie, Queen, Patti Smith – die Kopfhörer zittern am Kopf. Wissen, was möglich, was notwendig ist. Verbrennen – oder Brände entfachen? Darin liegt ein wichtiger Unterschied; lässt er sich benennen?

Die Musik dröhnt, die Beine wippen unter dem Tisch. Dieses Gefühl, wieder & wieder, dieses intensive Reißen: Ein Bald, ein Nicht mehr lang, als liefe ein Countdown, als stünden alle Figuren jetzt an der richtigen Stelle. Nein, nicht für ein Spiel, die Götter spielen nicht mehr. Es ist viel eher der Beginn einer neuen Erzählung. & das Beenden einer alten.

Der Blick fällt auf das Kabel, da: ein Knoten. Das Gefühl von Bestimmung.