Epilog: Catherine

Hören wir
wir?
du mich
unter dir im Schatten –
hörst du mich noch?

Die Ewigkeit kennt keine Namen
& wir
du hier
& ich dort
wir liegen namenlos als Götter
zwischen den Laken –
was lässt sich schon sagen?

Die Nacht gab
mir
dir
uns gab sie sich
nur für 8 Stunden als Traum,
der laut war im Wollen
& gefährlich im Kuss.

Gift gab mir die Nacht
zum Abschied
& nannte es das Glück eines anderen Menschen,
eines Fremden, der zwischen Fremden kam
& blieb,
hier:
dein blauer Raubtierblick,
dein Klapperschlangenlachen,
dein Körper: eine Löwengrube
& ich:
hineingestürzt
ins Gemenge der Zähne,
ins Räderwerk der Tatzen.

Wir wollten nicht allein sein. Ich in meiner Nacht, du am hellsten aller Tage. Als unsere Blicke sich kreuzten, da kannten wir uns bereits. Begegneten wir uns doch immer wieder aufs Neue. Tanzten ewig umeinander, flogen wie Pfeile. Ich stand plötzlich vor dir. Du ganz im Licht. Es gab keine Magie zwischen uns, kein Märchen von Prinzen & Schuhen aus Glas. Nur Blut & Pheromone, ein Zwinkern, das mich gelockt hat, & ein Lachen. & ich? Schau, wie mutig ich bin, ganz nah an deinem Gesicht. Immer ein Hi, als bedeute es was. Dann:

Küsse wie Schlangenbisse.

Alle sehn uns. Riechen uns. Wir wollten nicht allein sein. Hier: deine Hand unter meinen Beinen, deine Hand um meine Hüften, deine Hand an meiner Brust – wie du mich schulterst! Wie du mein Gewicht trägst, als wäre ich Kissen & Decke, das Bettzeug der Nacht & wie Federn so leicht,

so sitzen wir in der Nische beim Flimmern & lassen nicht los.

Wir schweigen & beißen uns fest am Schweigen des andren. Wir schmecken das Glück.

Wir gehn einander nach durch das Geflimmer der Stadt: Buntes Licht & Liebesgestöhn, Blicke von allen Seiten. Schau wie sie hungern nach uns, wie sie sich die Lippen wundlecken. Nur raus, nur weg, durch die Plastiklamellentüren & das Orange der Straßenlaternen.
Ironisch geht sich deine Stimme dabei aus.
Mein Blick sucht dein Gesicht, perfekt & dunkel, wie Regen & Wind.
Drinnen waren wir zeitlos.
Jetzt strahlt das gelbe Ziffernblatt über den Dächern.
Es ist kurz vor vier.
Wir gehn unter einer Sonne ohne Wärme nach Hause, es dauert & dauert,
wir fahren durch die Nacht mit den Schenkeln ganz dicht beieinander,
wir reiben uns wie Sand & Wellen.
Wir wollen nicht allein sein.
Also gehst du durch mein Zimmer, Suchender, siehst dir meine Bücher an im Dunkeln, sagst nichts, schaust, berührst flüchtig die Seiten, greifst nach Kleist, was hältst du da fest? Ich sitze im Bett, leicht & mutig, als du kommst wie ein Sturm, wie ein Taifun kommst du über die Stille & reißt & zerrst & stöhnst, Namenloser, kommst wie ein Gewitter über die See & bringst mir den Donner, kommst mit einem Körper aus Blitzen, aus Haar & Fleisch, mit Schweiß so süß, mit der Gewalt der Hurricanes kommst du zwischen die Laken & mich, wie Hagel prasselst du nieder, Franzose, Catherine, deine Hände werfen mich fort, mich, den Fremden, der tanzt zwischen den Schauern, die mir deine Lippen sind, & ich ich bin nicht allein bin ich nicht & trinke mich durstig an dir, trinke mich hungrig, trinke mich zum Menschen an dir, ertrinke, Welle um Welle, so treibe ich fort unter den Fingern, deinem Körper so hart – lass mich nicht los los in die Nacht die sinkt wie ein Schiff diese Nacht -, was sind schon die Stunden, was die Ewigkeit, wenn nicht die Sekunden mit dir, wenn alles plötzlich still wird: Meine Hand auf deiner Brust, meine Lippen an deinem Hals, unsere Beine wie Knoten. Damit wir nicht allein sein müssen, nur 1x wenigstens, fremd & Fremder: schau wie wir liegen, in der Nussschale von Bett, & uns halten, die ganze Nacht halten wir fest in unseren Armen, & sind nicht allein.

Morgens schließt du die Augen
als du mich küsst
als du mich küsst steht die Welt
still küsst du mich, Welt,
& still stehn wir hier,
& sehn uns nicht wieder,
nie mehr,
sehn einander nicht nach,
vergessen einander Gesicht & Stimme,
vergessen die Nacht & das Liegen zu zweit,
& du
bist beim Treppenabsatz kurz vor der Stufe,
& die Klinke ist kalt.

Am Kühlschrank dein Magnetwortsatz:
ewig abenteuer frühstück
& die Tasse mit dem Silberlöffel beim Spülbecken
direkt an der Kante,
dein nasses Handtuch auf der Waschmaschine,
ich habe dir nicht gesagt, wie schön du bist,
aber das Handtuch ist, was mir bleibt,
die Flecken im Laken,
8 Stunden Unsterblichkeit.

Von mir bleibt dir nichts –
außer mein Name,
& auch den wirst du vergessen,
jetzt in Paris,
jetzt,
in Berlin,
wo wir allein sind
allein
sind wir, allein –

Gustav

Der Bus, die Straße, & ein Zittern in der Haltestange & zwischen den Rippen: das ist die eine Bodenschwellensekunde zwischen zu Hause & der Fremde. Neben mir stehen Männer mit Koffern & Frauen mit kleinen Täschchen, die sie mir in den Rücken drücken, als stünde ich ihnen im Weg, dabei ist da ganz viel Raum zwischen ihren Schuhen & meinen; ich hab keine Ahnung, wie sie das schaffen. Draußen hüpfen Alleen & Wege. Schwaches Leuchtschriftflimmern an den Fassaden; Stühle vor Cafés mit Menschen drauf, die zerknirscht schauen, weil es zwar schön ist in der Sonne, aber doch sehr laut so direkt an der Straße; Bettlerkinder & viele Hunde; das ist der Rest deines Lebens.

Mir ist heiß, die Lederjacke wiegt schwer – bei jeder Kurve fühl ich sie an meiner Haut zerren, als wolle sie mir jemand ausziehen -, & doch will es jetzt überhaupt nicht tragisch sein, nichts davon; das hier, das ist irgendwie sogar ganz okay, eigentlich. Es ist zwischen oben & unten das in der Mitte. Ein Übergang, wie die Stelle zwischen zwei Treppenaufgängen. Ich stehe & der Bus ruckt vor, schiebt & wälzt sich, zuckelt, hält. Mit der Menge dräng ich nach draußen, & der Himmel ist ganz hell & blau, am Horizont ein bisschen rot, & ich will glücklich sein, denk ich, wieder & wieder – auch dann noch, als der Wind, der fern von den Gleisen kommt & über die Brücke springt, so als hebe einer den Fuß für ein Hindernis am Boden, mir mit beiden Händen ins Haar greift, & glühend in die Augen; nur glücklich sein. Für eine Weile. Woanders sein, überall, eine Hand voll Sand, die wer ins Meer schmeißt, die sich zu den Wellen aufwirft & verwirbelt, in die Tiefe sinkt & zum Grund wird, zum allerletzten…

Ich geh über die erste Spur, dann über die zweite, & die Autofahrer wirken traurig, da hinter ihren Lenkrädern, da in ihrem Metall & Plastik, in ihrem Gefängnis aus Öl, & ich schau ihnen direkt ins Gesicht; sehe einen Mann mit Schnurrbart & Brille; eine Frau, die grade hinter sich & zwischen den Sitzen hindurch nach etwas greift, das auf dem Boden liegen mag; alle sehen so verloren aus. Der Busfahrer hupt, als ich ihm vor die Kühlerhaube laufe, & die Leute im Bus drängen alle ans Fenster mit ihren Blicken. Vielleicht, um zu verstehen, weshalb der Bus so plötzlich abbremsen musste. Vielleicht auch einfach nur so. Ich bin ein Teil hiervon, denk ich, & meine die Pappbecher, die über den Gehweg rollen, die Plastiktüten, die wirbelnd, kreiselnd tanzen, Hunde an Leinen, & ein letzter Streifen Sonnenlicht zwischen den Häuserfluchten. Wie fassen wir uns, & wie das Bisschen Glück, das wir haben?

Zuhause bin ich durstig; ich schenke mir ständig neues Wasser ins viel zu kleine Glas & trinke bis ich die hohe, schmale Flasche bald wieder am Hahn nachfüllen muss. Ich öffne die Fenster, als die Nacht hereinbricht, & begrüße sie müde. Aufs Regal stell ich die Einladungskarte zur Hochzeit meines Bruders, sodass ich sie von überall gleich gut sehen kann, & lächle. Ich nehme den Gatsby, den ich im Bett lese – das Buch auf den nackten Knien, die Hand um jede Seite bemüht -, & fühle mich wattig im Kopf, schwer in den Beinen, fern. Ich denke an Orpheus & seine Schwester, an Zoey & Joseph, an den Herzensbrecher & Ikarus, an Anna Analia, & das Chaosmädchen; da ist ganz viel Paris hinter meinen Augen, ein Tag im März, eine Nacht im August; alles vergoldet sich unter mir, hinter meinen nachtschweren Lippen, in meinem Pingpong-Mund. Mehr kann ich nicht verlangen. Denk ich. & meine all dieses viele Leben, das mich durchströmt; dieses viele, viele Leben.

& das, endlich, ist Glück.