Intro: klein

Dem Leben irgendeine Art des Vorrangs geben, sag ich, die Türen stets geöffnet halten. Darum ging’s mal. Morgens früh aufstehen, Sport treiben, abwechslungsreich frühstücken, genug trinken, optimistisch bleiben, zur Arbeit gehen, Wartezeiten gekonnt überbrücken, lesen. Die Arbeit als sinnstiftendes Element im Leben sehen, als Bereicherung, nicht als Belastung, nein – mehr noch: als herausgetrenntes & jetzt – zum Glück! – wiedergefundenes Organ. Überlebenswichtig – überlebensgroß: Auf Plakate gedruckte Konsumvielfalt, die sich auf Kreditkartenformat zusammenstauchen lässt. Hier ist dein beschissener Instagram-Account, erstick doch endlich in deiner Plastikperfektion, du dumme Sau. Wenn Klaus Kinksi das wüsste. Dabei kommt mir nichts als Staub ins Haus, vergessene Zeilen. Mir klebt nichts als Druckerschwärze an den Fingern & die Stempel der vergangenen Nacht an beiden Handgelenken; ich träume
vom Unbekannten;
umarme den SmartBoy mit beiden Armen & hauche mich in sein bettwarmes Haar. Dem Leben irgendeine Art der Bedingungslosigkeit geben, sagst du, die Wäsche erst vom Haken nehmen, wenn sie nicht mehr klamm ist, sondern trocken wie Papier. (Denn nichts ist schlimmer als nasses Papier). Darum geht’s jetzt. Ich trinke schales Wasser aus geschliffenen Whiskygläsern, knistere Tabletten aus weißen Folien – vergesse, dass ich nicht Teil der Ausstellung bin. Das hier um mich, das ist immer noch mein Leben. Diese zusammengerollten Kabel hier am Tisch, die leere Mateflasche, all die Bücher, die mittlerweile drohend wanken sobald wer durchs Zimmer geht – es ist kein Setting. Die Realität trifft mich jeden Tag ganz unvermittelt. Schokoladenkrümel auf dem Küchentisch & der Geruch von frischem Kaffee. Die Einhornkondome in der Glasschale, daneben: Nasenspray. Das existiert. All diese Abzählreime meiner Wahrnehmung, die Aneinanderreihung von Gegenständen. Das habe ich als Leben verstanden. Oder nicht?
Sein Körper neben meinem, seine Hände,
wenn wir uns küssen, selbst wenn’s nur flüchtig ist,
sein Ich liebe dich; ein Blitzschlag, das Glück ist wie ein Blitzschlag, & ich liege sitzend – erst vor dem schlechten Bildschirm, dann vorm guten, sehe Freunden bei der systematischen Vernichtung ihrer Herzen zu, Emoji, gif, gif – & wieder liked wer ein Bild, es ist ganz egal, diese Herzen bricht dir niemand, die kann man nur zurücknehmen, dann ist’s so, als wär‘ nie was gewesen – jeden Tag bin ich Kronzeuge. Ich weiß genau, wer die Liebe gestohlen hat, Euer Ehren, hier: Close-up auf den attraktiven 34-jährigen Mann mit Bart im Zeugenstand. Es ist egal, wie abhängig wir geworden sind; wir kannten die Prophezeiung. Wir kennen den Tathergang. Ein Experte meldet sich aus dem Hauptstadtstudio: Wir leben durch die kapitalistischen Strukturen in einer masochistischen Gesellschaft, die sich permanent selbst bestraft; es gibt keine Erlösung, nur das ewige Fressen bis wir an unserer Kotze ersticken. Vielen Dank, Professor Doktor Sargnagel. Zurück zu mir. Zurück zum Lebensentwurf, dem verworfenen. Das war mal Schreiben. Also, sagt die Therapeutin, es ist schon die zweite, dann schreiben Sie doch, setzen Sie sich wieder hin, was hindert Sie, & ich, was hab ich zu erwidern? Nichts als schlaue Ausreden. Ich kann mich ganz aus dem Häuschen reden, dumm & dämlich, bis mir die Zunge taub wird & die Zähne wackeln, reden bis zum Sauerstoffmangel, Kreislaufkollaps, Nervenzusammenbruch; wenn ich nur wieder so schreiben könnte, wie ich reden kann. Stattdessen: Zerfaserung. Als hätte ich alles verlernt, als hätte es nichts vor jetzt gegeben. Die Dutzend Anläufe. Die inneren Zwänge. Das Zähneknirschen. Dann machen Sie langsam, geben Sie Ihre Perfektion auf. Good is good enough. Hätte ich eine Zigarette, ich zerdrückte sie jetzt nachdenklich im Glasschälchen auf dem Fenstersims. Draußen: Die Stadtsilhouette. In meinem Kopf spielt Klaviermusik, eine Katze streicht über die Feuerleiter. Die Neonreklame auf der anderen Straßenseite wirbt für Cola, Nutten, Lungenkrebs.
Das passiert, wenn ich ohne dich bin, denk ich. Wenn das Bett plötzlich zu groß ist für mich ganz allein. Wenn zwischen dir & mir die ganze Stadt liegt – ein Abgrund aus Gleisen, Schotter, Kronkorken. Hier bin ich, am Schreibtisch mit den Büchern & Tabletten, mit dem schweren Whiskyglas. Ich soll klein anfangen? Gut. Bitte schön: klein.

Die Träumer

death.

1.
Die Fledermäuse fliegen uns dicht durch die Äste; da rascheln Blätter, Flügel; da sind kleine, haarige Körper, die von links nach rechts zucken, so als schwinge sie jemand an Seilen durch die Luft. Das ist die Nacht – & sie kommt ganz plötzlich über uns.

2.
Hannah zeigt mir die Salbeibündel, die an beiden Fenstern hängen; zeigt mir das Schälchen mit Weihrauch, das Palo Santo, die zwei Messer links & rechts neben der Tür. Hier, sagt sie, kommt niemand ungebeten herein.

Sie geht barfuß durch das Haus – in ihrem weißen Sommerkleid sieht sie aus wie ein Gespenst; der Saum zittert um ihre Knie, tanzt. Von weitem könnte man meinen, sie schwebe durch die Räume. Hannah lässt das Licht ein – einen dicken Streifen Gold, der die Luft in weißes Glitzern taucht. Der Staub von hundert Jahren. Du wirst dich wohlfühlen hier, sagt sie & grinst.

Draußen ist der See – eine glatte, blaue Fläche, ein fallengelassener Spiegel –, Bäume, die sich vor dem Wind verbeugen, eine Sitzbank auf einem Hügel; ich seh dahinter ein Kreuz. Es gibt keinen Weg, der dorthin führt, nur Gräser & Blumen, Steine vielleicht. Wann ist das letzte Mal jemand hier gewesen? Hier ist immer wer, sagt Hannah. Ihre Finger spielen abwesend mit dem silbrig glitzernden Medaillon um ihren Hals. Man könnte meinen, jemand stünde hinter mir.

3.
Ich liege nackt unter Monden, die Sterne sind laut. Um mich vibriert die Luft wie angeschlagenes Glas: Dabei ist nichts da als der Sauerstoff in meinen Lungen, als mein Blut in den Venen. Ich, das ist eine Vibration ohne Erschütterung.

Als er aus den Büschen kommt, sind seine Haare wild & voller Efeu. Er geht wie besessen durch kleine Quader Helligkeit, verschwindet im Zwielicht, ertrinkt fast in Schatten – & kommt dann wieder zurück an die Grenze zum Licht. Er legt sich neben mich, das Gras seufzt unter seiner Haut. Willkommen zurück, sagt Joseph. Er ist älter geworden, schöner. Seine Hände schlagen Funken sobald sie die Erde berühren. Willkommen im — — 

4.
Als ich aufwache, halte ich SmartBoys Hände & sein Kopf liegt auf meiner Brust.
Berlin ist ganz still.

Ankunft, 17:51 Uhr

Morgen fahre ich fort. Du musst wissen: Ich bin jeden Tag in Bewegung, also ist das eigentlich nichts Besonderes. Ich fliege tagtäglich wie mit Katapulten geschossen durch die Stadt. Manchmal weiß ich nicht, wo mir der Kopf dabei steht, weiß nichts von oben oder unten – nur vom Schnaufen der Züge. Von Rucksäcken, die sich feucht in Rücken drücken. Von aufgeregten Gesichtern, verschoben von Alkohol & Hunger, die sich aneinanderreihen wie aufgespießte Schmetterlinge – eines exotischer als das andere. Aufscheuchen kann man hier keinen mehr. Die Flügel sind gestutzt. Draußen: blaue, fast türkisfarbene Himmel – Gelbgetupftes – Baumschatten, Umrisse meiner Augen. Um mich sind stets die Kometen fremder Wörter.

Morgen aber, morgen… Ein Zug, der aus Berlin rausführt wie eine Linie – ein Raum zwischen zwei Städten – ein Flur von einer Tür zur nächsten. Morgen: eine Tasche voll mit Liebesliedern. Sehnsucht, du kaust im hohlen Mund. Morgen: Ein Reisender, der sich ein Buch unter die Achsel klemmt, die Brille richtet, den Staub von beiden Schultern wischt. Ich also, ich. Einer, der seit Monaten nirgends war als nur in Bewegung.

Was also ist anders? Was unterscheidet morgen von all den andren Tagen? Vom Lärm der Liebe, vom Auf & Nieder der Wolken: den zerknautschten Kissen unserer Gesichter – Atem, von zwei Lippen zurückgehalten, die vom Küssen träumen – Haar, das sich in Haar verheddert: dein Körper, SmartBoy, der im Schlaf zu meinem wird –

vom Tanz zwischen Zimmern: ein Duft von Lavendel, flüchtig: Chanel auf Handgelenken, Mandeln als Rauch – zwischen zwei Betten, die sich morgens nach uns sehnen – ein Tanz zweier Leben, die kreisen, kreisen, kreisen, zwei Planeten auf der Jagd: Zurückgelassenes, Treibgut meiner Tage, ich, der sich ins weißblonde Haar greift – steifgeworden von Salzwasser, von Sperma & Schweiß –, ich würde mir gerne ins Gehirn greifen, die Gedanken richten, die wild sind & ohne Rast – & greife wieder nach deiner Hand… Greife, Erdbeben, nach allen Horizonten ––

Was unterscheidet diesen einen Tag von den letzten, den vorangegangenen, den Tagen, die alle stumm waren & eilig wie Regen? Als mir etwas unter der Hand kaputt gehen wollte, ein Lebensentwurf – mit 120 Sachen gegen die nächste Wand geworfen, & damit: ein Fühlen & Schreiben, ein Hören der eigenen Gedanken – & das dann doch heil blieb wider Erwarten? Was ist jetzt anders als damals – als die Stadt zur Skizze wurde & jeder Mensch nur ein Strich von vielen?

Morgen komme ich an.

Laterna magica

Wenn wir gehn, geht die Welt: Asphalt, endlos, rollt sich ab unter uns; sie können gar nicht so viele Straßen nachlegen, wie sie unter unseren Füßen ab- & auslaufen: Elberfelder Straße, Alt-Moabit, Zwinglistraße, Gotzkowskystraße, Turmstraße – Moabit, das ist dein Februar, dein Sonntagnachmittag. Wir tanzen unter grauen Himmeln. Rechts: die Blattlosen, die graue Wächter der Stadt stehn stumm & tatenlos. Dazwischen: Kinderwägen, Fahrräder, Passanten ohne Gesichter – Finger, die über Screens & Displays wischen: Wir sind Gottes ruhelose Augen. Links: Häuser, eins nach dem andren aus Fels & Stein gehauen, Lärm aus allen Fenstern. Die Fassaden sprechen fremde Sprachen – schwarz & orange, rot & blau: Irgendwer hat atemlos den Beton besprüht – jetzt dröhnen alle Farben.

Wenn wir gehn, gehn Herz & Knochen: Hier pumpt mein, dein, unser ––

Ich ziehe die Schuhe aus in einem Flur ohne Dielen, die Wände sind grün. Dem Mund seh ich nach, dem Schnurrbart; ich sehe den Haaren nach, die aus dem Hemdkragen schauen; mein Mund ist trocken & rissig, aber ich bin nicht durstig, ich habe gefühlt mein ganzes Leben lang getrunken. Jetzt geh ich, den Rücken gestreckt, in den Purpurnen Raum, die Wände sind hoch, die Decke vier Menschen entfernt, & seh auf der Couch nach draußen zum Hof, sehe gelbe Streifen, weiße Vierecke, eine Symmetrie ohne Sinn & Verstand – ein Ausschnitt Welt: Zimmerpflanzen, ein Vorhang – eingeklemmt im gekippten Fenster, Alltag.

Wir liegen aufeinander wie belegte Stullen. Hier: zwei nackte Körper, einer haarig & dunkel, der andere haarig & weiß. Schwänze drücken gegeneinander, Oberschenkel, Nippel. Nie war einer mehr Mensch als am Menschen. Alles wirkt so herrlich zerbrechlich & gleichzeitig: schwer & massiv. Unverwüstlich. Was haben wir gebraucht, was verloren? Was haben wir gerufen & bestellt, was haben wir verbannt?

Als ich gehe – zerzaust & mit hungrigen Augen –, hängt mir das schwarze Shirt aus der Hose & die Schnürsenkel sind auf. Schließe ich die Augen –– schließ mir die Augen –– dann hör ich Stimmen & Licht, höre die letzten Worte, die stets auch die ersten sind, & im Hintergrund, fern, ganz fern: das Klavier. Die Episoden dauern an… Wie lange dauer ich noch? Denk ich ans Sterben, wird mir leicht, viel zu leicht für dieses zurecht gezupfte Leben. Alles, was ich fühle, sagt Dr. H, sind Echos. Wann war ich – nicht? Wann gab es dieses & jenes, wann gab es mich? Mit irgendetwas muss das doch alles angefangen haben. Oder nicht?

In Episoden: Montag & Dienstag, Mittwoch & März. Ein Sprung zu Juli, Oktober, 2019, 2020. Aus Baustellen werden Häuser, aus Menschen werden Gräber. Hier: Blumen, hier: die Sonne, die kreist wie gejagt. Auf den Simsen: Fliegen & Staub, die Fingerabdrücke. Ich gieße mir Wasser ein & neue Gedanken, ich stelle ein Buch zurück ins Regal, ein neues & wieder eins bis die Regale alle voll sind & die Wände bestellt. An der Kinotür lächelt – wer? Ein Spanier, ein Rumäne, ein Franzose. Hände, wie Sandpapier, reiben mich ab, reiben mich fort, & ich, gierig, verlange nach mehr.

Unter uns: die Räder, die Schienen – bodenlos: eine Welt außer Atem. Ich stehe nie still, bin Zugwind & Welle; suche, suche, suche. Wünschte ich mir ruhigere Hände, ein stilleres Herz? Oder ist es vielmehr ein Mehr, ein lauteres Wollen, das mich auffrisst bis nichts mehr bleibt als ein knurrender Magen? Ich gehe durch Moabit – ein entgleisender Zug könnte keinen größeren Schaden anrichten als ich: Hier – gebrochene Herzen, zerbissene Lippen, Schnitt- & Prellwunden, angebrochene Knochen. Ich bin dein Seitenstechen. Dein Sodbrennen. & dort? Ein Junge mit schmalen Hüften, der seinen Kopf auf meine Schulter legt & seufzt, der seine Hand in meine legt, der mich vermisst.

Früher, sagt Abraham, wolltest du genau all das, was du heute hast. Ist doch verrückt, oder nicht? Ich lache, drücke ihm einen Kuss auf den Mund & denke: JA! In der Sturmhöhe saß einst ein Mann, denk ich, & –– Nichts. Kylie Minogue brandet hundertfach verstärkt durch die Halle – Discoklugelflimmern, der Bass als Erdbeben –, & drei Männer in kurzen Hosen greifen schieben drücken mich – ich als bunter Schaum auf schwarzer Erde –, in die vorderste Reihe. Da vibrieren Haut & Haar, da reißt mir die Musik jedes Wort von den Lippen & zergliedert zu Konfetti. Wo bin ich eigentlich? Neukölln, sagt er. Ja, Neukölln, das ist dein Juni, das ist deine Sommersonnenwende, dein Rad der ewigen Wiederkehr.

Wenn wir gehn, scheint das gelbe Ziffernblatt über uns, die Himmel sind grau. Beim Späti läuft Cool Savas. Wohin gehst du eigentlich?, fragt er mich, die Hände tief in den Hosentaschen, die dunkelblaue Jacke bis zum Kinn hochgezogen. Rechts: Tote Plastikhüllen in grell ausgeleuchteten Schaufenstern, kitschige Brautkleider –
rote Spitze, gelber Tüll, lila Pailletten –, Dönerfleisch, das im eigenen Fett verbrennt. Links: Unermüdliches, Bewegtes – Autos, die sich gegenseitig anhupen, weitertreiben. Wohin? Als ich mich zu ihm umdrehe, dreht sich die ganze Welt: Rollbergstraße, Karl-Marx-Straße, Hermannstraße. Der U-Bahn-Schacht stöhnt Züge aus, atmet Menschen ein. Ich weiß nicht, wohin ich will. Es gibt keine Ziele mehr. Nur einzelne Etappen. Den Löffel in der Kaffeetasse. Vollgewichste Handtücher. Dein Lächeln.

Da ist immer dein Lächeln.

Die Suche

things that should have been 

Dein Rücken gegen das Licht
– wenn ich meine Augen schließe,
seh ich zuerst deinen Rücken,
die nackte Haut,
& Leberflecke;
ich seh dein braunes Haar,
das sich lockt an beiden Ohren.
Wie leicht –
deine Hand auf den Tasten liegt;

erst dann seh ich das Licht.

Hör.
Er kommt zur Tür rein wie gerufen, aber eigentlich hat gar niemand was gesagt. Er ist einfach da, groß & weiß, ein Mann wie ein Dreieck, die Schultern ganz grade – er steht in der Küche: Barfuß, in grauen Jogginghosen, & rollt sich ein weißes T-Shirt über die weiße Brust, den weißen Bauch – er ist so weiß, man könnte Schnee nach ihm benennen –, & lächelt, lächelt, oh Gott, wie er lächelt. Hi, sagt er. Nur Hi. & geht sich durchs Haar.

Wir haben uns
immer gekannt, nie getroffen;
wir haben uns seit Jahren stets verloren.

Die Träume, sag ich. Nur diese zwei Wörter. Als würde sofort jemand verstehen, was ich damit meine, aber niemand versteht mich. Besonders Bea nicht. Die tupft sich weiter die Wangen mit Rouge & nickt; es ist ein unbestimmtes, ein herrenloses Nicken, etwas, das ganz ohne ihr Zutun passiert, eine Geste der Höflichkeit. Die Träume? Nein, es sind keine Träume. Was dann? Es sind Erinnerungen. Erinnerungen an was? Ich weiß es nicht. Da ist immer dieses Zimmer, die weißen Vorhänge, ein Klavier. Der Mann am Klavier. Ein Mann? Ja, ein Mann. Jemand, den du kennst? Ja. Zögern. Nein. Ja, was denn nu? Nichts. Ach egal. Nein, sag doch. Nein. Bea schaut mich im Spiegel an & ihr Blick – ein Messerwerfer kann keinen schärferen Dolch werfen als sie diesen Blick –, trifft mich zwischen den Augen. Meine Ohren brennen, sind rot. Ich weiß es nicht.

Warum bist du hier?
Ich bin immer hier.

ich sitze am fenster, die stadt ist klein & gelbstichig, wie alter rauch. draußen irren lichter, trambahnen, autos. smartphones gehen auf & ab. ich saß lange nicht mehr hier. habe lange nicht – gedacht, gefühlt, gelebt. als wäre es pausiert gewesen, dieses harlekin-leben.

die gedanken, das, was einem selbst, was mir gehört, ist wie verschoben. stattdessen: gefühle, die wie regen niedergehen; ich fühle zu viel.

nur wenn du bei mir bist, sag ich ins leere zimmer, finde ich frieden. Komm, sagt er. nur Komm. & wenn ich dann meine augen schließe, die wund sind & rot, die trocken knistern beim blinzeln, dann seh ich ihn,
die hand auf den tasten,
den kopf leicht geneigt,
dann riech ich ihn,
ihn & den sommer,
hier: der staub in der luft, glitzernd wie silber,
& das licht – dieses licht, das nirgends sein wird,
nur hier, in diesem zimmer,
& ich, der ins leere blickt, die zunge trocken am gaumen, fühle ihn, er ist auf der anderen seite, als müsste ich bloß durch die tür, nur gibt’s hier keine seiten. vor mir: die stadt, trübe & gelb. irgendwer schmeißt in der küche ein glas zu scherben. ich sitze am fenster, höre das klavier, höre die finger auf den tasten, der fuß tippt, tippt, tippt die pedale, ich höre dich, denk ich. & höre nichts.

Sagen Sie – haben Sie eine Todessehnsucht?
– (zögernd): Nein.

wie kann ich dich vermissen – dich & nicht all die andren? jene, die wirklich da waren? wie kann das andere, das gedachte leben, so viel realer sein als das eigentliche?

es bleibt
haltloses,
fragmentiertes.

ich sitze zitternd am fenster. Komm. wie einfach alles wäre, wenn es diesen sommer gäbe. du am klavier. dieses licht, das alles heilt. Komm. dein rücken gegen das licht, mein kopf auf deiner schulter, meine hand auf den tasten.

Xibalbá.

mein letztes wort.