1.
Die Eifersucht pachten wie ein baufälliges Haus––ich wohne im Vorderhaus, erster Stock, Südseite. Wenn ich im Sessel sitze, da in der Ecke, wo mir stets die Pflanzen eingehen & der Staub sich verfängt zwischen den Falten im Vorhang, seh ich die Straße zu beiden Seiten, Bäume, die Stadt Berlin, die mich sesshaft gemacht hat––manchmal: Menschen, selten: Blicke––ich sehe Möglichkeiten, die sich nicht ergeben, sehe den Weg schräg von oben, aus der Warte, nie geradeaus von unten, & finde nirgends ein Ende. Ist es das, ist das alles?
2.
Die Bücher auf dem Regal, die ich aus dem Staub ziehe, lese ich ohne sie mir zu merken; hier sind die Erzählungen, Gedichte, Memoiren ohne Pointe, die mein Gehirn kurz erschüttern wie ein Niesen; fremder Leute Leben, Gefühle, Gedanken schießen mir impulsiv durch alle Nerven, & zehn Sekunden später, das Buch zugeklappt & alphabetisch einsortiert, vergeht mir kitzelnd jeder Satz. Ich werde nicht besser vom Lesen, ich wachse nur, antizyklisch zum Papier, werde Baum, Rinde, Ringkreis an Geschichten, schieße in die Höhe & dem Leben davon, atme.
3.
Glück––das ist eine Folge guter Umstände, das ist mein Kopf auf deinem Bauch, dein Kopf auf meiner Brust; das sind die Tage, die wir gemeinsam verbringen. Wenn unsere Finger sich verhaken. Wenn wir gemeinsam unter der Dusche stehen & lachen. Wenn wir auf der Couch liegen––müde geschlagen von der Arbeit der Nacht & der Wut der Triebe, die uns aufpeitschen wie wilde Pferde––& uns durch Netflix scrollen. Wenn wir Pläne schmieden: Hier––Spanien im Herbst & New York im neuen Jahr. Hier: Shows & Entertainment, & das Glück verliebter Leute. (Glück ist die Summe deiner Berührungen, du im Frühling & Herbst, deine kalten Füße, dein breites Grinsen). Es folgen Monate, die an uns vorüberfliegen, die heimlich Jahre werden, & sich plötzlich „Leben“ nennen. Ich bin eingebettet in dieses andere Leben, in diese andere Wohnung am Ostkreuz, Vorderhaus, dritter Stock, in die Alternative.
4.
So vieles, das sich verändert, so vieles, das sich bewegt. Ich komme kaum nach. Hier lese ich gerade Ernst Bloch & esse veganen Käse direkt aus der Packung; dort folge ich Greta Thunbergs Instagram & schreibe auf der Schreibmaschine ellenlange Briefe ohne Pause. Ich verschicke Schwanzbilder an Unbekannte, gieße namenlose Pflanzen in glänzenden Messingtöpfen; ich höre Haydn. Ich––das Substrat der Jahrhunderte, die Kakophonie verschiedener Zeitebenen. Während die Sonne brennt, lasse ich mir Bacchus auf den Oberschenkel tätowieren; dabei lese ich von schmelzenden Polkappen & Klimaflüchtlingen, über die ich vor Jahren schon schrieb, lese von der AfD, die nichts ist brauner Schaum auf verbrannter Erde, & den Ertrunkenen im Mittelmeer, streife dabei gedankenverloren die Haut der Pflaumen, die straff ist & glänzt, & denke nicht, erlebe bloß, wie die Welt aus allen Fugen springt.
5.
Worauf also bin ich eifersüchtig? Das Leben umbrandet mich, die Liebe. Ich bin überall. Ist es die Ruhe, die vermeintliche, die ich misse? Die erfüllten Versprechen vom Besseren––dem vollen Bankkonto, dem geschriebenen Buch? Sind es die kleinen Fehlstellen––die gebrochenen Backenzähne, die blaugeschlagenen Zehen? Ist es die Stille der Erzählungen, oder die Abwesenheit der Kunst, die mich schmerzt? Ist es die Eifersucht auf die Anderen, diese gesichtslose Wand aus Körpern, Bedürfnissen, Zielen, die sich mir Tag für Tag als Brille vor die Augen setzt? Die vermeintlich Erfolgreichen. Die vermeintlich Besserverdienenden. Dieser & jener Gegenstand fehlt dir noch, dieses & jenes Land hast du noch nicht bereist––ist es das? Oder fehlen mir Hunger & Ambitionen, der an Wahnsinn grenzende Wille etwas erreichen zu müssen? Ich trete weich auf dem Boden der Tatsachen. Ich spüre keine Hürden.
6.
Er sagt, ich sei zum Schreiben gemacht. Ein Automat des Schreibens, so nennt er mich. Die Schreibmaschine. Ich hab das alles schon einmal gehört, vor fast 10 Jahren das letzte Mal. Warum aber schreibe ich nicht? Was ist so falsch geworden am Schreiben, an der Auseinandersetzung mit sich, mit der Ungeduld & dem Abwesenden, mit den Ecken & Kanten, den schrecklichen Abgründen? Woran liegt es, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann auf meine eigenen Wörter? Das Smartphone? Hat es mich dumm gemacht? Unruhig? Ist es das Glücksspiel der Notifications, das mich betäubt? Oder ist es die Welt, die mich verstummen lässt? Die Episoden des Untergangs, die mir jedes Wort zurück in den Mund stopfen, die mich ersticken? Ist es der Rückzug in die Alltäglichkeit, die Selbstgenügsamkeit––zu wissen, dass noch Brot da ist, & Kartoffelsalat, dass ich auch morgen ein Buch aufschlagen & mich mit einem Getränk ins Kühle setzen kann, während draußen das Gras braun wird, & welk? Bin ich selbst zum Lotusfresser geworden?
7.
Wie besinnt man sich zurück auf Wesentliches? Was ist das Wesentliche überhaupt? Essen, Trinken, Schlafen, Verdauen, Ficken. Träumen––träumen auch? Schreiben? Vom Glas in den Scheiben, den Menschen hinter den Scheiben, den Menschen im Glas? Von Haydn? Von Ernst Blochs Hass gegen das, was er die ägyptische Strenge nennt? Was ist wesentlich in einer Welt der Überfülle, in der alles laut & wichtig scheint, in der alles da sein kann, wenn man’s nur bestellt? Ich falte Papier & Wäsche, ratlos.
So viel „Oh!“ und so viel „Oh ja!“. Hier rennt das Leben vorbei und ich erkenne es als solches gar nicht und so ähnlich liest sich dein Text für mich auch. Alles rennt und rennt und ich merke gar nicht, wie ich mitrenne, während ich mich am Rand nur zuschauen fühle.