Au·to·da·fé̱

Wiedergeboren werden, darum geht es. Aufzuerstehen. Die letzten Tage, Wochen, Monate – sie alle lagen wie Ruinen zwischen uns, trennten rote Fäden von zweierlei Herzen, wohin mit dir? Wer die Geschichte nicht kennt, lacht nicht an den richtigen Stellen, der begreift das Lachen nicht. Ich habe also vergebens erzählt. Auch darum geht es. Ich habe die wichtigsten Stellen ausgelassen – das weiße Geschrei, die bunten Lichter, ich habe die Nacht zum Schweigen gebracht. & zu welchem Preis? Es kamen nur Plagen: der Küchenbrand, die verstopften Rohre, die Rechnungen aus allen Himmelsrichtungen, rote Pusteln zwischen Hüfte & Wangen, die totale Entstellung. Ich bin als Aussätziger – das Gesicht hinter Schminke –, durch Berlin gerannt, als sei der Teufel hinter mir her, dabei war niemand mehr Teufel als ich. Da, morgens in Pankow, als der Ire auf mir saß, mein Schwanz vergraben in heißer Haut, in einem Körper wie ausgedacht, & er kam & ich kam & die Flugzeuge über uns dröhnten, da gab es kein Zurück von den Entscheidungen, da gab es nur die fremde Begierde, ein wildes Tier an zwei Leinen, das sich aufbäumte wie im Todeskampf. Mich gab es nicht. Wer aber bin ich noch, überhaupt? Wer ist übrig geblieben nach all den Grabenkämpfen – nach dem lückenlosen Niedergang ganzer Königreiche?

Ich stehe als Wiedergänger auf, als Kopie; ich verlasse um 7 Uhr 40 das Haus, ich gehe mit brennendem Kopf. Von morgens bis abends dröhnt mir die Musik, ich ertränke jeden Gedanken. In welcher Welt lebt das Original? Mein Gesicht brennt, mein Mund ist nichts als eine Linie. Wer mich ansieht, versteinert, Gorgos Haupt kennt keine Gnade. Strom pulsiert mir stattdessen durch Muskeln & Fleisch, ich renne gierig, stemme wütend, jedes Gewicht zerschlägt mir den Körper, aber ich will nichts weiter als das, will nicht mehr als Göttlichkeit, als eine Erschütterung, die mich vom Menschsein trennt. Nachts, wenn der Hunger kommt, hole ich mir Brasilianer & Norweger ins Bett, die mich einlullen mit ihren fremden Zungen, in die ich fahren kann wie ein böser Geist – ich schüttle & rüttle, einen ganzen Staat bring ich gegen mich auf, wenn ich da so einen Wikinger, so einen Konquistadoren zwischen die Kissen werfe, was soll’s, ich habe die Maßlosigkeit ja nicht erfunden.

Wiedergeboren werden, das geht nur unter Schmerzen. Das geht nur unter der Einwirkung der Elemente. Einer muss erst brennen, um aus der Asche aufzuerstehen. Also lege ich mich ab zwischen Reisig & Holz, lege mich als Funkenregen zwischen die Körper. Die Freiheit, denk ich, ist das wichtigste, wie konnt ich das bloß vergessen? Wie konnte ich mit allen zehn Fingern nur ständig auf alle Hürden zeigen, statt sie mit zwei Händen aus dem Weg zu räumen? Wie ich mich verbogen habe, um dem Bild zu entsprechen, dem Entwurf eines Menschen, dem guten Boyfriend, dem Vorzeige-Mann, der alles überwindet in der Selbstüberwindung, der nach nichts mehr streben darf, der nicht mehr wollen kann, der sich selbst nicht wichtig nehmen darf angesichts des Anderen. Also folgt das Unglück in mehreren Nebenrollen. Heute: Eine Aufführung in 12 Akten, jeder ein Monat zwischen März & März, eine Geschichte der Auslöschung.

Wer aber spielt nur dieses Stück, wer hat es geschrieben? Im Juni gehen wir auseinander mit dem Sturm über unseren Köpfen, jeder total bestürzt & fassungslos, dabei habe ich nur mal davon gesprochen, was ich denke, was ich empfinde. Davon, dass ich langsam wieder der werde, der ich gewesen bin, dass ich mich erinnere, & dass es diesmal kein Zurück gibt, keine Korrektion meiner Person. Ich bin kein Schulaufsatz, ich bin keine Gedichtsinterpretation. Du streichst nicht einfach in mir rum, nimmst dir heraus, was dir passt & lässt das andere zurück, das Ich ist. Das ist jetzt schon zu oft passiert, ich habe diese Erzählung in der Endlosschleife abgespult, es ist doch auch mal genug, oder nicht? Es reicht doch irgendwann, nein?

Wir kämpfen alle, es liegt nicht nur an diesem Jahr. Wie viele Brücken brennen da schon hinter uns, wie viele Dörfer & Städte? Unzählige. & auch die Ketzer – sie brennen lichterloh. Die Aufrührer, die Kritiker. Jene, die nicht schweigen, die es nicht über sich ergehen lassen, die doch irgendwann einfach aufstehen & sagen: Ich hab genug gehört von deiner Ichbezogenheit! Ich bin doch nicht für dein Glück verantwortlich, das bist du selbst, verstehst du das nicht? Nein. Du nicht. Du nimmst lieber dein Fahrrad, fährst zwischen den Sturm wie ein Blitz & lässt mich an meinem Geburtstag allein unter dieser Markise zurück, reißt die Fäden, reißt die Brücken, reißt alles ein, was du dir aufgebaut hast von mir, & ich, ich spüre den Strom in meinen Adern, spüre den Wahn & die Kraft, die er mir gibt, spüre die Erinnerungen, die aus der Tiefe quellen – die Bilder von Abschied & Trennung, die Tränen unter der Dusche & die Klingen, die mir den Kopf kahl scheren; sehe, wirbelnd, den Sand & die Sonne, sehe das Grün & das Weiß, die Küsse zwischen Küssen, die Blätter & Wolken, in die Luft Geschossenes, die Straßen von Madrid & Prag, Tel Avivs weite Himmel, was ein Tanz, was ein Irrsinn, die Nächte, die klackernd Gläser stoßen, rot & blau & gelb, ein Feuerwerk, das über uns zerspringt, & unsere Hände, immer unsere Hände, die nicht lassen können vom andren, glaub mir, ich seh es, seh alles – die Bilder überlagern einander, aber ich suche mich darin, suche den Mann, der Tränen lacht statt sie zu weinen, der begehrt ohne zu zögern, den Schriftsteller, der sich nicht den Mund verbieten lässt, der nicht vor dir sitzt wie vor einer Wand. Ich suche mich in mir, nicht in dir, darin unterscheiden wir uns. Darin unterscheidet sich mein Fegefeuer von deinem.

& sieh wie ich brenne, sieh mich als Stichflamme zwischen den Steingewordenen. Der Vesuv ist nichts gegen meine Feuer. Hier: die Fehler, die Vergehen – ein Fick ohne Kondom, eine Panikattacke zwischen zwei Kerlen, die mir verlegen Traubenzucker geben, weil sie sich um meinen Kreislauf sorgen, die Drogen, die mir die Augen weiten & das Herz, die Stille, wenn ich vom Dunkel rede, das mir als Glitter auf der Zunge liegt; ich spucke Gold & Eisen, kratze mich bis aufs Blut & zerbeiße einen Mund, der zu schön zum Küssen ist. Ich gehe renne falle – hungrig, mein Hunger ist maßlos. Also findest du mich nachts zwischen den Wölfen. & ich weiß, ich weiß alles, was du dir denkst & was du empfindest; ich habe dein Mitleid gegen jeden Wind gerochen, selbst inmitten der Stürme. Dein Aber Alex, dein tieftrauriges Ach. Dass du dann arrogant bist, du als König im Exil, merkst du nicht, du schüttelst nur den Kopf über meine Eskapaden. Als wüsstest du etwas besser, als wüsstest du mehr als ich. Wie viel wiegt dein Glück mehr als meines? Wer gewinnt dein Wettrennen um das bessere Leben – insbesondere, wenn du der einzige bist, der daran teilnimmt?

Du hast mein Recht auf diesen Wahnsinn nicht akzeptiert, das hast du nie. Dabei ist genau das, ist dieses Schieben & Geschoben werden, ist dieser Raketenstoß durch tausende Universen, mein Wesen. Mein innerster Kern ruht nicht, ich kenne keine Mitte. Was du festhalten willst, bricht auseinander, zerfließt unter Händen & Blicken, rauscht. Zu lange habe ich versucht, einem Bild zu entsprechen, das nicht nur gefällig ist, sondern das als normal verstanden wird, hier: ein mustergültiger Typ, ein Vorbild, schau, wie der funktioniert, ein Uhrwerk tickt nicht so entschlossen wie der, aber ich ticke nicht. Schieb dir deinen regelmäßigen Sport, deine gesunde Ernährung, deine Meditation, schieb dir deine ganzen beschissenen Rituale & dein besseres Wissen sonst wohin; sprich mir nicht von Heilung, von Normalität. Ich kann keinen Tag länger in deinen Kerkern sitzen. Ich, das ist eine Zumutung, ja, meinetwegen, aber so will ich leben, wild & frei, ohne deine Ränder & Rahmen, ohne deine begradigten Flüsse – ich bin das, was über alle Ufer tritt, ich akzeptiere keine Widerstände.

In deinen Augen also bin ich ein Ketzer, denn ich dulde deine Autorität ebenso wenig wie deine Dogmen. Ich dulde deine Regeln nicht, deine Erlösung. & du hast in dieser einen Sache auch tatsächlich einmal Recht. Ich bin ein Ketzer. Dafür habe ich mich entschieden, ja. Meinetwegen brenne ich für meine Sünden. Es gibt nichts, von was du mich befreien kannst, deine Himmel bleiben mir verwehrt. Ich brauche sie nicht. Wie gesagt. Ich muss erst in Flammen aufgehen & Asche werden, um aufzuerstehen. & das tu ich ohne dich.

2 Comments

  1. Even if i don’t know German i can feel the rhythm of your style. As for the theme. Well, there is a deep analysis here. U reach levels that most of the people don’t even try to approach or afraid of. We are all still divided -light and darkness, apollonian and dionysian, chaos and order, i doubt if we will ever find a balance.

    That weird unique creature, man.

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  2. Jedes Mal wenn ich einen Text von dir lese bin ich überwältigt, von all den Gefühlen, Bildern, dem Ringen und Reißen, den Abgründen, vieles wo ich mich wiederfinde und vieles was anders ist und vieles was mich fasziniert, und ich würde jedes Mal gerne etwas dazu schreiben aber mir fällt nie etwas gescheites ein. Lass dich bloß nicht klein machen und einkerkern, sei der Wirbelsturm der du bist, zeig dich in deiner ganzen Hitze, und die Menschen die das zu schätzen wissen werden bleiben, davon bin ich überzeugt.

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