Wer flieht denn hier, fragt er, & geht zwischen die Menschen nach drinnen.
Mit der Tür im Rücken, hat man immer nur die Wände vor Augen, denk ich. Vor die Wand Gestellte: Du & ich, & die Versprechen, die wir uns geben.
Sag jetzt bloß nicht wieder Liebe, denk ich, sonst schlag ich mir selber die Fresse ein. Nein. Mit der Liebe hat das alles schon längst nix mehr zu tun. Es wurde genug zur Liebe gesagt. Wir haben uns den Mund fusslig & die Herzen wund geredet, wenn’s ums Lieben ging. Als gäb’s sonst keine Substantive mehr. Als wäre alles nur ein Strickmuster der Liebe, & wir die billige, flauschige Wolle, die beim Waschen eingeht zu knotigen Fasern. Sind wir aber nicht. Waren wir nie.
Schau mal: Vor der Bar schlage ich mir so vehement gegen die Brust, dass ich hustend drauf warte, jemand öffne mir von innen die Rippen. Auch das passiert nicht, nein, sorry, dass ich dich da so enttäuschen muss. Ich habe zu viele Märchen erzählt. Es ist Zeit für Schlagzeilen:
Stell dir vor, sag ich zu einem, der neben mir steht, da kommt wer rein & schießt alle tot. Angenommen gerade dann, wenn du auf der Toilette bist. Bäm-bäm-bäm. Draußen schießt wer deine Freunde tot & du faltest das Klopapier zum zweiten Mal. Was dann? Klingt völlig abstrakt. Ist aber passiert – im Sommer war das. Da hat einer 49 Menschen totgeschossen. (C’mon!, irgendwer wird’s auf Facebook schon geshared haben). & hier? In Deutschland haben wir 100 Menschen auf der Straße befragt, was sie eklig finden, & 40% meinten, schwule Männer, die sich küssen. Ach, schau? In diesem Land der Dichter & Denker, wo sie schwarzen Menschen Affenlaute nachspucken, wenn sie in die Kirche gehen – Gott, ja, in die Kirche –, da ist man sich nicht mehr zu fein, seinem Unmut endlich freien Lauf zu lassen. (Auch das ist tatsächlich passiert, in Dresden, am Tag der Deutschen Einheit 2016, ja). Wer will sich da schon den Vergleich gefallen lassen, man sei gar nicht mehr so weit weg von Hitlerdeutschland wie alle immer meinen.
Wir haben zu lange die Liebe besungen, ohne dabei zu merken, dass sie keiner mehr hört. Hier wütet der Lärm, der erstickt alles, begräbt alles, wälzt sich als Protestvolk durch die Straßen. Wir haben nicht begriffen, dass die Liebe uns nicht mehr ausfüllt. Dass sie uns nicht ganz macht, nicht heilt. Hier sind Menschen, die wollen keine Veränderung. Die wollen, dass sich alles gleicht. Bitte rettet doch irgendeine andere Sprache, aber nicht die deutsche. (Die Gebärdensprache bspw.).
Ein Bürgermeister sagt, die Demokratie müsse das erdulden, & lügt. Die Demokratie schaffe sich selbst ab, sagt ein Mann Mitte Vierzig & meint sich damit selber. Er schafft alles ab – die Homosexuellen (bekannt), die alleinerziehenden Mütter & Emanzen, die Ausländer (alle, aber vor allem den gemeinen Muslim). In Polen wollten sie, dass Frauen kein Recht mehr über ihre Körper haben, & in Deutschland klatscht die Mandy leis‘ Applaus, denn sie hat ja schon immer gewusst: Abtreibung is‘ nicht, der liebe Gott will Kinder, wie der Kevin, & da beides Männer sind, wissen beide eben auch Bescheid.
Wohin ich schaue, sehe ich die Furien – hundertköpfig. Ich sehe sie in den verzerrten Fratzen der Demonstranten, in Politikerinnen-Mienen, die milde lächeln, wenn einer sie fragt, wohin das noch gehen soll – in den Bundestag, wohin denn auch sonst? –, & grausig, wie von großen Händen in die Straßenschluchten gescheucht, haucht die Angst, das Monstrum, den Menschen weiter Spiegelscherben in die Augen. Nichts spiegelt mehr, alles zerrt.
Draußen auf der Straße höre ich das Hämmern von Fäusten, ich höre Helene Fischer, ich höre Leute lachen, da rückt wer Tische an die Wände & die Wände gegen Menschen. Das ist die Protestbewegung. Das ist der Widerstand. Wenn nichts mehr geht, denk ich, hilft bloß Gewalt. Es wird kalt & kälter, der Wind weht von links. Ah. Jetzt kommt er aus der Tür, dreht sich den Kopf in den Rücken & grinst zahnlückig den Zurückbleibenden nach als hätten sie gerufen. Haben sie nicht. Die machen jetzt klar Schiff zum Tanzen, sagt er. Wollten, dass ich helfe. Klar. Der Flüchtling soll helfen, wenn keiner hilft, hilft wenigstens der. Die interessieren sich einen Scheißdreck, ob du da warst oder nicht, Babe. In diesem Land finden sie es unmoralisch, wenn wir uns küssen, aber wenn sie einem Syrier den Kopf spalten, ist das voll ok. Du bist so zynisch. Nee, nur ehrlich. Warum ist dir die Party denn so wichtig? Er schaut mich an, der Blick völlig leer, der Mund wie zum Kuss. Weil ich die alle voll liebe.
Lieber Alexander, ich hab dich für den Liebster Blog Award nominiert und würde mich freuen, wenn du Zeit und Lust findest, ein bisschen was zu schreiben :) https://wortnetze.wordpress.com/2016/11/07/liebster-blog-award/
und man dachte, der wind wehe stärker von rechts.
Du schreibst umwerfend.
Danke.✨