Die Furien

orestes

Die Wut, ein Gewitter zwischen den Zähnen, überrollt mich von innen, sie rollt sich aus mir heraus mit dunklen Himmeln. Ich spucke Blitz & Donner, meine Wörter schlagen dir, grell, den Atem aus den Lungen. Ich hab es satt zu schweigen, satt den Kopf zu neigen, dieses Satt liegt mir fettig auf den Lippen. Ich kann das nicht kauen. Ich will es nicht mehr.

Die Geduld, letztes Jahr mühsam abgeschöpft, ist jetzt verschüttet.
Ich bin es müde, meinen Zorn in Zaum zu halten.

Als geprügelter Hund nagt man nur an Knochen. Hier: Der Exfreund, der sich an die Liebe erinnert als wäre sie ein Theaterstück, geschrieben für Besessene – eine Aufführung mit zu vielen Stimmen –, der das Begehren im Mund führt wie ein Messer. Ein Blick genügt & du schneidest dich an dem, zerschneidest dich in hauchdünne Scheibchen, wirst zum Horsd’œuvre für den Hungerkünstler. Hier: Die Stadt, die an den Rändern einsinkt ins Braun, in Urschlamm, der vor 71 Jahren schon zu viele Blasen warf; in der Ferne tragen sie Fackeln & Mistgabeln & jagen den Muslim aus dem Dorf. Jemand ruft nach Justiz & Sittlichkeit, jemand schreit nach Kultur – & trägt stolz das Blut an Lippen & Hand. Die Kannibalen sind die ersten, die um Vergebung betteln.

Heimlich, im Dunkel der Nacht, tragen wir Plakate durch die Straßen, sagen Nein zum Gift in deutschen Adern.

Wie langsam die Wut sich auftrennt in Vielheiten, wie sie sich verdoppelt & vervierfacht, einen Fuß von vielen in der Tür, drückt sie ihre hundert Glieder in den Raum. Die Wut folgt der Angst auf Schritt & Tritt. Jetzt brennt das ganze Land.

Wir haben das alles doch schon mal gesehen:
Die Wut als Kehrseite, als Medaille für Langstreckenhasser.

Was, wenn einer versucht, dem Hund den Knochen zu nehmen? Einer, der schwächer ist, mal angenommen. Oder, was noch schlimmer wäre: Wenn keiner den Knochen haben will, aber der Hund den Schwachen riecht? Wenn ihm die Schwäche in Hals & Rachen steckt wie frisches Fleisch? Wenn das Beißen nach Schwäche befriedigender ist als der Knochen selbst?

Hier: Ich – ich wie ich durch Straßen gehe, wie ich mich abmühe mit Schwerkraft & Leib, ich hebe mich hoch & gegen Widerstände, zürnend. Wie müde ich aussehe, morgens vor allem, wenn die Nacht mich ausspuckt – die Augen gerötet, die Lippen zerbissen. Meine Haut wird alt. Ich gleiche immer mehr dem zerwühlten Bett, dem ich kaum mehr entkomme. Ich halte mein Herz, hier, mach, was du willst, & die Zeit zwischen den Fingern – sie rinnt als Klingen, lässt Schnittwunden an Erinnerungen zurück –, hält nichts zusammen.

Ich begreife zu spät, was eigentlich passiert ist, habe das Erdbeben nicht gespürt, das jetzt die Welt zum Wanken bringt. Hier sind keine Träume mehr übrig, die uns vergessen lassen. Die Antipoden schlafen nicht mehr. Im Gegenteil. Sie haben sich erhoben. Wie die Titanen beugen sie Himmel & Erde unter ihren Händen. Freiheit – als Wehklage. Liebe – als Schimpfwort. Sie drehen alles um, drehen Steine & Geister, bis nichts mehr beieinander ist. Aufwachen – woraus? Aufwachen – worin?

Die Furien, die nachts kommen, legen mir ihren Krallen an den Hals. Wie untätig du bist, wie fahrlässig, wie verschwenderisch du bloß mit deinem Leben umgehst, wie du dich vergeudest, ein eingerissenes Glas bist du, das nichts mehr taugt. & so bin ich, gläsern, gehe als Sturmglas durch die Nacht, bin wie geworfen.

Hier: Du, der du mich am Telefon anbrüllst, weil der Brief ein Siegel trägt: Polizei, ein blaues Wort aus Sirenengeheul, ein weißes Greinen – das müsste nicht so laut sein, aber du regelst hier den Ton. Du sprichst mit mir wie mit einem Kind, scheuchst mich, grollend, von einem Satz zum nächsten, & ich, der ich nicht mehr nicken kann, verstumme, bin stumm zum ersten Mal seit Jahren, & spüre, heiß, die Wut auf meiner Zunge. Eisern, wie Blut. Ich kann das nicht mehr, das Alles, ich will es nicht mehr: All diese Geduld & das Beherrschen. Als Glas mit Riss, zerbreche ich. Es geschieht im Einatmen, beim Luftholen. Es ist nicht genug Raum übrig. Wohin? Ins Nichts, hinaus, ins Vakuum. Alles, was kaputt ging, tanzt plötzlich, wirbelt Staub & Tote auf. Was mir entkommt, ist dunkel-grell & voll Gewalt. Es reicht.

Die Wut, vielköpfig, vielgliedrig, dröhnt mir in den Ohren:

Narren, ihr hättet träumen sollen,…

Dann folgt das Lachen.

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