An dich, der ging & an mich, der blieb

kompass

Ich habe nichts gesucht,

im Leintuch nicht die Falten,
nicht die Flecken, den müden Geruch,
ich habe nichts gesucht, was sich auflesen ließ
von meinen grauen Träumen.

Gestern, denk ich, gestern war ich noch hier. Da hab ich irgendwas gemacht. Ich sehe Buchtitel, die sich senkrecht in die Luft jagen wie Raketen; ich muss ständig den Kopf neigen, um lesen zu können, was da in den Himmel schießt, aber mein Kopf ist so schwer, viel zu schwer zum Neigen, also sehe ich den Farben nach, Symbolen – Unverständliches. Das könnte ebenso mein Leben sein, was da aufsteigt, was unverstanden verschwindet. (Nein).

Was alles anders ist, & anders wird, jeder ist verwandelt. Morgens, wenn mir der Tag klebrig in den Augen hängt, hat sich die Nacht mir auf die Haut gelegt wie Staub; ich gehe im Staub der Nächte, in ihrem Altkleidermief. Unter der Dusche wasche ich nichts ab, alles bleibt an mir dran. Du, der du nicht mehr da bist, & ich, der ich selbst verloren ging zwischen den Tagen, irgendwer, der mit großen Kopfhörern in kleinen Räumen sitzt, bewusstlos geschlagen vom vielen Wollenmüssen & den Tabletten. Ich habe keine Ahnung, was passiert, das lass ich jeden wissen. Ich weiß nichts, nichts, was hilft. Ich kann dir Borchert vorlesen. Ich kann dir erzählen, wie es war, als die Drag Queens die Bühne eroberten. Da gibt’s viel vom Vermissen, viel vom Staubgewordenen, einer Museumsliebe, die hinter Glas gesetzt, vergilbt. Ich selbst werde ganz gelb manchmal. Wenn die Lieder traurig sind & die Nächte dauern – viel zu lang dauern die Nächte alleine im Bett, Nächte, die traumlos sind, & nichts bewegt sich im Bett außer mir selbst, dann geht meine gelbe Hand ins Schwarz & greift mit gelben Fingern in den Ausschnitt, der mir in den Augen brennt, ins Fehlgewordene, das zurückblieb von dir, & findet nichts. Niemanden. & das ist alles, die ganze Geschichte. (Nein).

Ich drifte. Stunden werden Wochen, Monate. Jahre gehn hin. & die Traurigkeit? Wird zum Fossil, sie versteinert, geht verschütt. Diese Liebe ist ein Ammonit. Ich fühle die Ablagerungen, fühle die Erde, die uns presst. Sind wir denn Öl? Sind wir wie Gas? Ich erkenne mich nicht, wenn ich die Spiegelungen sehe, also seh ich erst gar nicht auf, ich geh mir selbst aus dem Weg in den Spiegeln & Löffeln & Gläsern, ich bin bloß Arme & Beine, ein Bauch, eine Brust, ich bin Aufzählbares, aber ein Mensch bin ich nicht – ist das nicht verrückt? (Nein).

Manchmal, da löst sich der Boden unter meinen Füßen, alles löst sich auf. Ich denke an Marty McConnels Gedicht, denke an die Zeile, die mir immer & immer wieder auf leisen Sohlen durch den Kopf geht, leaving is not enough; you must / stay gone. & ich bin optimistisch manchmal & glücklich, für einige Zeit bin ich auch glücklich, ja, ich weiß nur nie wie lange, aber es ist dann auch egal, & ich sitze da, trinke den Tee, den ich mir eigentlich nicht leisten kann, & lächle, denn der Verkäufer im Café schenkt ihn mir mittlerweile ein, ohne zu fragen, was ich will, & im Hintergrund läuft Bon Iver, läuft mein Skinny Love, da läuft: Tell my love to wreck it all / Cut out all the ropes and let me fall –, & ich bin verortet, bin hier in Berlin, das immer da ist, wenn ich es brauche, diese Wilde, Unbezähmbare, die Durchgeknallte, die Vogelfreie, Berlin, du Heimat.

Ich lebe. Das ist verrückt.

& ich denke daran, dass dies zu mir gehört, dass es meins ist, dieser Moment mit Bon Iver, mit Borchert in der Jackentasche, das alles – dieser Tag & auch der nächste, die Nächte im Glitter, dieses Lachen, das mal poltert & mal kracht, die Gedichte, die ziellos sind, aber nicht ziellos bleiben, die Musik –, das alles davon mir gehört. & ich denke an dich, der du ebenfalls zu mir gehörst, auf andere Weise. Du bist Teil meiner Geschichte, & das macht mich leicht, für einen Moment oder zwei, denn ich denke an dich & an das, was wir hatten, & es war Liebe, eine flüchtige, eine ambivlanete, eine Liebe wie eine Naturgewalt, aber Liebe. Ist das ein Lächeln, lächle ich jetzt, weine ich?

Ja. Immer nur Ja.
Zu allem, was gewesen ist.

Ja.

Ich habe mehr gefunden, als ich je wollte.

 

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