Der Steinbruch

Ich sitze im 15. Stock, die ganze Stadt liegt mir zu Füßen. Unter mir – Berlin, Berlin zu allen Seiten; ihre diesigen Himmel, ihr orange-farbener Glanz. Welche Richtung ist das, welche Seite? Ich sitze in einem Würfel, der stets nach Norden fällt.
Da bist du.
Ich bin im Exil. Ich bin ausgewandert, geflohen. Ich bin nirgends.
Wie, sag, wie mach ich weiter mit diesem angebrochenen Leben, mit dieser Halbwertszeit? Wie lange kann ich das im Kühlschrank lassen bevor es schlecht wird, bis es schimmelt? Ich mag mein Leben frisch, ich mag es von Bäumen gepflückt & von der Muse geküsst. Nicht vakuumisiert & in Plastik eingeschweißt. Aber – –

Ich sehe den Autos nach, die auf den Fensterscheiben fahren, nicht auf den Straßen, & sitze im Dunkeln, weil ich mich nicht sehen will – die kurzen Haare, die Ringe unter den Augen. Sehen sich Gespenster denn im Spiegel? Seh ich mich?

In Schöneberg sitz ich bei Eric mit C, in einem Café namens Heile Welt, & weiß plötzlich nicht weswegen. Ich wandere den ganzen Tag durch Gespräche, die nie beginnen, die nicht enden, die mittendrin verblassen, die ausgehaucht werden wie verbrauchte Luft. Ich atme schale Wörter. Ich atme altes Zeug.

Eric mit C sagt, er finde mich attraktiv, er finde Männer, die männlich sind, geil; er wolle jetzt nicht ficken, nein, aber ficken wolle er mich schon. Ich nippe am Espresso, der zu heiß ist, nicke. Das ist mir ganz egal. Jeder präsentiert sich anders, alle sind sie gleich. Eric mit C zeigt Arme, zwei, die an ihm dranhängen wie Stromkabel. Eric mit C sprüht Funken. Ich geh pinkeln. Allein. Zu Hause.

Dieser Moment ist geliehen, er ist von irgendwem geborgt.
Von wem?

Die Männer zeigen ihre Köpfe wie Büsten, sie reihen sich aneinander wie gemeißelt. Schön & stolz, ohne Makel. Mir fehlt die Nase, die Ohren, mir hat die Zeit die Lippen abgenagt. Ich umarme, armlos. Ich sitze ohne Unterleib. Berührt mich einer, berührt er eine korinthische Säule. Ich habe überdauert, überdauere noch; der Grabstein der Liebe ist längst verwittert, die Blumen längst verdorrt.

Unter mir ist die Faltstadt Berlin, die Lichtstadt, das ewige Wollen.
Aber ich – ich will nicht mehr. Will nicht gewollt haben müssen, um geliebt worden zu sein. Will nicht scheitern dürfen, um gelernt zu haben. (Ich will dich). Ich will gar nichts, das Zurück ist zerknüllt, es ist vom Block abgerissen & fallengelassen. Das Damals löscht sich selbst aus im Morgen. Nur der Schreiber sieht zurück – unentwegt. Wofür?

Es geht gegen Mitternacht, die Bilder fliegen stumm.

Könnte ich mir mein Herz doch still ficken, mir jedes Loch stopfen, das einst voller Liebe war, mich vergessen. Ich wünschte, ich könnte mich ins Verlangen stürzen & im klebrigen Sud ertrinken. Mich aufbrauchen in Körpern, die niemandem gehören, empfinden, was ist & nicht, was fehlt. Ich wünschte, ich könnte dich umarmen wie früher & mich nicht wieder lösen müssen, müsste nicht ungebeten über der Stadt wachen, ein Wasserspeier ohne Wasser, & dabei rastlos starren. Ich wünschte mir, das Chaos, das niemals schläft, würde einmal schlafen.

Nichts geschieht. Zucken mir die Mundwinkel sobald ich die Liebe seh? Werden meine Augen kalt & leer bei fremden Küssen? Gönn ich den Verliebten noch ihr Glück?

Wem nützen die Phantasien, wenn keiner mehr empfinden kann?

Ich wache ohne dich auf & muss mich dran gewöhnen.
Es gibt Momente, da denk ich nicht an dich. Das ist das schlimmste.
Was tun?

Ich sammle die Fragmente.

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