Das gebrochene Herz

Rodin.

Verloren, was nicht zu verlieren war.
Abgeschnitten & aufgetrennt, verschüttet zwischen Tagen – ich. Alles, was nicht Ich ist, geht weiter, steht weiter – steht morgens auf & stellt sich in den Tag, der geht voran, sag’s! Es wird schon besser, klar. Ach, die Liebe, & einer zuckt mit den Achseln, der andere lächelt verschwörerisch. Die Liebe kann man doch nicht mehr ernst nehmen. Oder doch? Oder nicht? Na, aber was denn sonst? Ich sitze auf dem Bett, das viel zu groß für mich alleine ist, & betaste die Seite, die seine war, & auf der ich jetzt liege, die Türseite, & falle. Ich falle jeden Tag & jede Nacht. Auseinander.

Wir sind auseinander. Du & ich, uns gibt’s nicht mehr. Wir waren Traum.

Die Trauer überkommt mich manchmal wie ein epileptischer Anfall, sie schüttelt mich, sie wirft mich zu Boden. Wenn ich traurig bin, dann fehlt mir die Luft zum Atmen. Dann bin ich wie Kiesel so klein & zersplittert, aufgelöst in viele kleine Schmerzen. Ich starre viel, begreife kaum. Gestern noch, sag ich, & meine eine Vergangenheit, die sich überlebt hat, die ihrerseits versteinert ist. Gestern noch waren wir glücklich. Ist es denn falsch, ist es gelogen?

Als Geist gehst du durch die Zimmer, kochst Wasser für den Tee. Manchmal höre ich dich im anderen Zimmer, da raschelt das Papier, die Dielen geben knarrend nach. Du hörst Billie Holiday zur Zeit, sie gibt dir Kraft. Ich höre nichts außer die Stille, die schlimmer ist als jeder Lärm. Manchmal begegnen wir uns im Flur, jeder auf seiner Linie, der Mindestabstand trennt unsere Körper & Stimmen, meinen Geruch von deinem, meinen Mund von deiner Haut. Manchmal umarmst du mich, es geschieht immer ganz plötzlich, & dich wieder loslassen zu müssen, das ist wie Sterben. Ich sterbe deiner, jedes Mal. Dann, wenn die Türe sich hinter dir schließt. Wenn ich morgens allein aufwache in diesem Bett, das bestimmt war für uns beide. Wenn ich mir die Zähne putze, ein Brötchen aufschneide, einen Teller abwasche. Alles, was ich mache, ist halbherzig – mir fehlt eine Kammer meines Herzens. Jetzt stürzt mir alles Blut hinaus.

Wenn du nicht da bist, gehe ich heimlich in dein Zimmer; es ist wie ein Museumsbesuch, eine Beerdigung. Ich berühre nichts, sehe nichts. Ich fühle bloß. Fühle die einzelnen Stunden mit dir in diesem Zimmer, höre dem Lachen nach, das hier war, & das jetzt fort ist, sehe uns auf dem Boden liegen, sehe mich auf der Couch, bei dir am Schreibtisch, ich sehe uns Händchen halten, sehe uns auf dem Balkon stehen, Arm in Arm, sehe unsere Küsse, die stets süß waren, die brannten wie Zunder & Reisig, & ich ertrinke an mir, ertrinke an all den Gefühlen, die diese Bilder schaffen, ertrinke in den Wassern, die hochschlagen & jeder Tropfen, salzig & bitter, ist mein Vermissen, denn oh, wie vermisse ich dich!, wie fehlst du mir!, mir könnte einer die Haut abgezogen haben bei lebendigem Leib & sie würde mir nicht so fehlen wie du.

Sie sagen, es würde besser mit den Tagen, sagen, ich solle loslassen. Aber es wird nicht besser, es wird nicht leichter. Ich kann nicht loslassen, denn du bist wie Stacheln in mein Fleisch geschlagen, du hast mich durchdrungen mit deinen braunen sanften Augen, deiner karamellfarbenen Haut, deinem Sturmhaar, das unter meinen Fingern knistern wollte wie Gewitter, dich loslassen heißt mich verlieren, heißt meiner schmerzen, heißt Schaden nehmen, & so sitze ich starrend vor Papier, schreibe Bedeutungslosigkeiten, die nach nichts klingen, die fühllos bleiben, denn fühllos bin ich solange ich atme & esse, solange ich durch diese Zimmer wandere, mit Fragmenten im Blut, die dein sind, & weiß nicht weiter, denke nicht weiter, sehe keine künftigen Tage.

In Schüben kommt mir zu Bewusstsein, was zu Ende ging & geht & gehen wird, in Schüben kommt das Reißen & Zerren, das Glas auf meiner Zunge & in den Augen. Du bist weg. Du bist weg. Du bist weg. & ich kann dich nicht ersetzen. Egal, wie sehr du mir fehlst & fehlen wirst – wir sind bereits verschwunden, sind verblasst in den Tagen, die deiner folgten. Ich bleibe zurück. Der leere Platz am Frühstückstisch. Das zweite Kissen neben mir im Bett. All die Dinge, die hätten sein können – sie werden nie passieren. Wie soll ein Mensch das begreifen? Wie kann er es fassen? Dass eine Liebe wie diese erlöschen kann? Dass sie nichts übrig lässt als Asche & Salz? Wie konnte das geschehen?

Ich weine & weine, weine um alles, was dein ist & mein war & was unser hätte werden sollen. Das ist alles, was ich noch kann.

One Comment

  1. […] Monsieur Manie leidet an einem gebrochenen Herzen. Und wie. Das gebrochene Herz […]

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