1a)
Bettwäsche, daran denk ich. Neue Kissen. Bunt & weich. Vielleicht minimalistischer als die alten, schlichter, denn ich mag es schlicht, ich habe mich praktisch in alles Schlichte verliebt, & zupfe mir am Mund – das mach ich in letzter Zeit öfters, nicht aus Nervosität, nein, sondern weil meine Lippen rauh sind vom Küssen. Ich denke auch an neue Lampen. An Pflanzen in großen Übertöpfen. An Geschirr, das einfach ist, & reife Früchte. Ich denke an Stillleben, an die drei L in der Mitte des Worts, an A., der im Nebenzimmer über seinen Büchern brütet & lernt, an Alain, tanzend, & Berthe, die im Schneidersitz auf dem Küchentisch sitzt, ein Moment der Ruhe.
Ich gehe manchmal ganz kurzsichtig durch die Wohnung, sehe bloß die unmittelbare Gegenständlichkeit: Die Gabeln sind nicht richtig, die Stühle sind falsch. Ich rücke Träume ins Leben, Bilder, so flüchtig wie WhatsApp-Nachrichten. Ich habe klare Vorstellungen vom Neuen, von der Wohnung & den Möbeln, von meinem Zimmer im Hellen, von dem kreativen Schaffensprozess, der auch immer ein Ort-Findungsprozess ist, & lächle manchmal über die Visionen, die sich so selbstverständlich realisieren lassen, weil plötzlich ein wenig mehr Geld auf dem Konto ist als früher.
Manchmal wird mir das Lächeln aber auch schief, es wird mir manchmal krumm, liegt mir beinahe sauer auf den Lippen – so, als zwänge mich jemand ungesüßtes Zitronenwasser zu trinken. (Ich sehe dann meistens Georges Perecs Profil beim Schreiben der Dinge). Woher die Gier nach Schönheit, woher das Bedürfnis nach Einfachheit?
Alles muss sich reduzieren lassen, sagt das Notizbuch. Alles? Was heißt Alles? Kann ich den Holztisch – vier Füße, eine Platte –, den Schwarztisch der Nacht, denn noch weiter minimieren? Wie miste ich meinen Kleiderschrank wirklich aus, all diese faden Farben – Pullover, ausgeleiert wie abgeworfene Häute, T-Shirts mit rissigen Aufdrucken, viel zu bunt, viel zu weit; ich würde am liebsten alles wegschmeißen, wenn ich dabei nicht plötzlich Die Flüchtlinge im Kopf hätte, diese Ansammlung von Menschen, die wie Wetterprognosen unlängst eingetreten sind, die übers Land kamen wie Graupelschauer. & in Berlin-Moabit, nur zwei Straßen von mir entfernt, stehen sie & warten auf das neue, das andere, das bessere Leben. Also pack ich meine Bündel & stelle sie mir in jeden Weg, damit ich nur darüber stolpern kann, damit ich keine Ausreden mehr habe, & denke dann doch wieder an die falsche Jeans & die richtige Jacke.
Ich würde gerne mit Adorno über diesen Blödsinn vom richtigen Leben im falschen reden.
1b)
Ich höre immer Musik. Ohne Musik erlösche ich, werde grau & aschen, werde Staub noch vor meiner Zeit. In allen Räumen spielt Musik sobald ich sie betrete; im Bad, wenn die Waschmaschine heillos durcheinander geht; in der Küche, beim geöffneten Fenster; unterwegs: Der Stadtraum ist eine Expansion meiner Ohren, ein Musik-Raum. Es gibt darin keinen Lärm.
Ich gehe leicht durch Berlin, verliebt & in die Liebe vernarrt. Alles ist schwerelos ––
Natürlich weiß ich um alle Probleme. Die Krisen sind wie Haarrisse, sie durchziehen die Tage wie Adern. Das ändert nichts am Eigenen. Am Hunger nach Wissen & Tatkraft, am Drang & nicht-enden-wollenden Bedürfnis nach Veränderung. Das beginnt vielleicht bei der Besteckschublade, aber dann? Hört es nicht auf, nein. Ich begradige. Kleine Wege. Dabei bleibt selbstverständlich der ein oder andere auf der Strecke; ich habe plötzlich keine Zeit mehr für diese alkoholseligen Partygespräche, für Menschen, die sich an ihren Getränken festhalten müssen, um nicht in all dem intellektuellen Gewichse zu ertrinken, von dem sie umgeben sind, am postmodernen Malstrom der Langeweile. Ich mache mich stattdessen ganz dünn, mache mich rar & gehe dem Großen Jammern aus dem Weg. Wie arrogant, sagen die einen. Wie unzuverlässig, die anderen. Nach der eigentlichen Motivation aber fragen sie nicht.
Reduktion = lat. reducere 3. -duxi, -ductus „zurückziehen“, „zurückführen“. Wie dreist, es ist zu dreist, weil es so einfach ist. Dieses ganze Durcheinander, dieser Mangel an Strukturen, an Neuen Inhalten, mit großem N & großem I. Übersättigt sein & weiter essen ist da scheinbar viel eher im Trend. Einkaufen bis alles leer ist, obwohl nie irgendwas leer ist, weil ständig irgendwas produziert werden muss, damit man’s ja doch wieder konsumieren kann, damit’s irgendwann weg ist – & irgendwann ist’s tatsächlich mal weg & alle sind erschüttert vom Ausbleiben, vom leeren Kühlregal & dem Echo in den Lagerhallen. An die Kurzsichtigkeit denk ich. An die weichen Kissen.
1c)
Beim Aufräumen finde ich seinen Namen, finde Alessandro wieder, einen Link, der schließlich nirgends hinführt. Zu einer Leerstelle. Einem Geheimnis. Ich erinnere mich daran, wie Alessandro war als ich ihn kennenlernte, das war noch in Tübingen, 2006. Jetzt suche ich seine Spuren zwischen Vimeo & Google, finde nichts außer Fragmente. Ich finde mehr von mir als von ihm. & was ich finde, passt nicht zum Ganzen. Ich finde mehr Namen, mehr Leerstellen, & viele Bilder.
Vielleicht wird es auch für mich Zeit. Für ein neues Exil.
Ach, Monsieur, wenn man halt auch seine Seele und seinen Kopf ausmisten könnte…………
Kann man das denn nicht? Würde das einen bis mehrere Berufsstände nicht ad absurdum führen?
So klar und leer, so wundervoll minimalistisch ist es hier geworden!
Ich wünsche dir Kraft und Ausdauer fürs Aussortieren im richtigen Leben, im Alltag mit all diesem vielen Zeug & den Sachen, die man so mitschleppt und ansammelt. Es lohnt sich, es befreit, es erleichtert. Viel Freude!
M
Ich danke – für die Wünsche & die Begeisterung; ich teile nach wie vor die Freude am Auftrennen & Entsorgen. Es wird immer etwas zu tun sein; der Sammelwut kann man mit der gleichen Entschlossenheit begegnen wie jeder anderen schlechten Angewohnheit, die man als solche identifiziert hat. Ich werde weiter berichten. :)