Ich sitze am Tisch, der blau ist wie die Nacht, & lege den Kopf, der schwer ist, auf die Hände, die leicht sind, & höre R.s Lied, ich habe es so viele Male schon gehört, & erinnere mich an R., an seine vielen Finger, das Klavier. Ich erinnere mich an einen Herbst, der sommers war, & im Regen bereits ein Winter.
Wie verliert sich der Tag – in Decken gewickelt, die Füße in zwei Paar Socken, da ist Schimmel im Bad, & der Tee wird kalt;
mittags stehe ich am Herd & lese Hilde Domins Gedichte, ich lese sie laut, die Gnocchi knistern in der Pfanne wie Folie, & ich gehe durch die Zimmer, die jetzt noch erfüllt sind von Leben, wie lange noch? P. zieht aus, es ist eine Frage der Zeit. J. zieht aus, vermutlich im Mai. Die Transitzone ist – zwei Meter Boden zwischen zwei Treppenaufgängen –, ein Zustand ohne Grenzen. Da liegt Bettwäsche, Socken & T-Shirts, Gleitgel in der Flasche. Auf den Gedichten liegt Staub.
Seltsam, wie viele verschiedene Leben man führt, wie oft man sich verändert. Traurigkeit, dein Zellgift kommt nachts. Ich vermisse R., plötzlich & heftig, vermisse sein trauriges Lächeln, seine Konzerte. Wie der ankam & strahlte, wie sein Flackern heller war als mancher Tag, & wie er wieder ging. Israel, deine Träume, sind flüchtig. Da gab es mal eine Zeit,… ich erinnere mich ans Kibbuz, an all das Salz auf der Haut. & daneben: Don, einer von denen, der saß neben mir & teilte sein Bier & die Liste, seine Liste, wird immer kleiner im Portemonnaie; ich streiche noch immer Bolaños Titel aus, ja, sie alle gehören bald mir, & ich höre R.s Lied & frage mich, was er gerade macht, wem er lächelt, wen er vermisst, & nippe am Tee, der kalt ist.
Es ist alles in Unordnung, die Wohnung, das Denken, ich weiß nicht, weshalb, oder: vielleicht weiß ich es genau, & will es nicht wissen. Was bleibt? In R.s Lied gehe ich ziellos durch die Zimmer, drehe an Heizungsreglern, öffne Fenster. Das hier, das verweht mir zwischen den Fingern: Stühle, die gestern noch fremd waren, sind morgen bereits fort, diese Pflanzen, diese Teller. Ich versuche mir die Wohnung vorzustellen, wie sie sein wird, wie sie werden muss: Bunte Decken & Kissen, ein neuer Teppich hier, ein neues Bild dort, ein neues Bett & neue Lampen; ich bilde mir ein, ich könne mein Zuhause neu erfinden, & warum nicht?
Ich spiele am Radio.
Möglich, dass alles erst mal schwer wird. Vor allem die Sache mit dem Geld, denn daran scheitere ich ja meistens. Unmöglich hingegen ist es nicht. Ich sehe mich auf einer Leiter, die Haare weiß, die Finger bunt, mit einem dieser Pinsel, die viel zu lang sind, um sie anständig halten zu können. Ich sehe Pflanzen, dick, mit satt-grünen Blättern, in wuchtigen Töpfen. Ich sehe mehr Platz, einen anderen Platz, der sich auch wie Platz anfühlt: Raum zur Gestaltung. & dahinter: einen neuen Frühling. Durch die Fenster fällt die Sonne nach drinnen & Musik nach draußen, ich sehe mich schreiben. Anderes, ein Kapitel mit zwei Zahlen. Vielleicht tanzt hier wer. Ein Sprung zur Seite: Das ist noch immer mein Zuhause.
Wie leicht die Füße plötzlich sind. Die Erkenntnis kommt plötzlich, so, als würde ich stolpern. Die Angst, merke ich, ist etwas Organisches, sie kennt Zähne & Zunge, sie kennt Magen & Darm: Die Angst beißt sich von drinnen nach draußen, & nistet im Herzen. Es ist ein Irrtum zu glauben, man könne die Angst durch bloße Annäherung austreiben; sich der Angst auszusetzen hieße, sie zu überwinden. Es ist generell ein Irrtum anzunehmen, die Angst ließe sich überwinden. Man muss eins werden mit der Angst, man muss sie zu sich nehmen, zerkauen, man muss sie verdauen. Die Eigenschaft der Angst muss man sich zu eigen machen.
Weiter.
Ich gehe weiter, durch das Chaos, das Flüchtlingslager. Das, sag’s dir, ist, was du willst. & was ich wollte: Unbändigkeit. Ich sammle die Socken auf, die Handtücher vom Haken, ich gehe hustend, denn die Lunge rasselt von der letzten Erkältung, & lege den Cloud Atlas, den ich gerade lese, neben Amanda Palmers The Art of Asking, auf das ich mich bereits freue. Ich denke an das Interview mit Kurt, das noch zu transkribieren ist, & an das fünfte Unterkapitel vom Strich, da ist noch viel zu tun, ja, ich weiß. Ich arbeite dran. Mein Zuhause, denk ich, sind nicht nur diese Räume; nicht nur die Stadt, die mehr denn je wie ein Geschenk ist; ich selbst bin mir Zuhause, die Dinge, die ich will, die ich mache. Plötzlich: Das Gefühl von Angekommensein. Ich stelle neues Teewasser auf den Herd. Das ist erst der Anfang.
Ja, so ist es wohl.
Ein Kommen und Gehen.
Ein Willkommenheißen und ein Abschiednehmen.
Ein Ende und ein Anfang.
Ein Fest-halten-wollen und doch Los-lassen-müssen.
Und auch wenn ich kein Wort verstehe, so gefällt mir das erste Tape echt gut.
Ein schöne dahinplätschernde Melodie. Nur ein bisschen traurig hört es sich an.
Nicht gut, wenn man eh gerade in ein kleines Depri-Loch gefallen. ist.
Nun denn, Monsieur, gehabt Euch wohl und labt Euch an dem wundervollen Wochenende, welches ich Euch vom Herzen gerne wünsche. ^^
Gruß und so.