Die großartige Candy Bukowski hat mich mit dem One Lovely Blog Award ausgezeichnet, & wie schon bei der letzten Auszeichnung, will auch diesmal das Rampenlicht verdient sein – mit sieben Fakten über mich:
#1 Die Extreme, oder: Die Legende vom Kugel-Schreibtischdings
Die Wirsching meinte letztens, ich sei wie eines von diesen Kugeldingern – die haben früher in den Arztpraxen & Direktoren-Bureaus geklackert, auf poliertem Mahagoni und gerne auch auf schmierfreien Glasplatten; die sollten beruhigen oder die Konzentration fördern, oder vielleicht sogar beides, ich weiß es nicht: Schwere, versilberte Kugeln an dünnen Fäden, die zu zwei Seiten ausschlagen – durch die Mitte, scheinbar in Ruhe, rauscht die Bewegung als bloßes Vibrieren – klack-klack-klack-klack: Durch die Mitte geht der Schlag & an den Rändern – fliegendes Silber.
Wenn ich morgens aufstehe, ist die Welt noch ganz neu. & abends wird sie zu Asche. Ich gehe als Brand durch alle Straßen. Wenn ich mich für eine Sache interessiere, fange ich Feuer; ich kann nicht loslassen, mich nicht auflockern, die Schrauben nicht ziehen.
Es gab eine Zeit – & ich dachte schon damals, ich würde irgendwann so davon erzählen, als wäre mein Leben nur ein Märchen, & die Geschichten, die ich erlebe, egal wie banal sie auch wären, nur einzelne wundersame Episoden darin –, da hab ich mich beispielsweise ausschließlich von Weizenpops ernährt, diese zuckrigen, gelben Dinger, die einem die Milch süßen, dabei sind die nichts anderes als Styroporkügelchen mit Geschmacksverstärkern. Ich konnte die morgens essen, mittags, abends. Jeden Tag eine Packung. Sonst nichts. Ein andermal waren’s die Energy Drinks, die ich mittags um 3 trinken musste, jeden Tag. Dann: alle Kinderriegel aus dem Automaten im Bureau. Dann jeden Tag: Sport – jede Woche: Theater, all diese Serien & Filme, manchmal schon vor der Arbeit morgens um 6.
Ähnlich zu Midas, der sobald er etwas berührte, das Berührte auch vergoldete, werden die Dinge unter meinen Händen zu Gold – einem brennenden, strahlenden Gold, radioaktiv & toxisch wie Uran, aber gleißend wie Licht, etwas, das sich wollen lässt. Gegenstände werden zu Reliquien. Menschen zu Göttern. In den weißen Nächten Berlins – die schwere Efeukrone Bacchus’ auf dem Kopf – habe ich getanzt wie besessen, habe geliebt & begehrt; ich habe getrunken. Monatelang. Besessen ging ich durch die Stadt, hungrig, ich war nie zu Hause, ich war immer zu Hause, ich habe nächtelang geschrieben, gevögelt, gefressen, getanzt, gehungert, gelegen, geschwiegen. Ohne Geld habe ich nach Geld geschrieen, & in der Dekadenz darum gebettelt, endlich frei vom Geld zu sein. Der Leichtsinn tanzt mir dabei immer ganz zuvorderst auf den Lidern & nennt jedes Ding eine wertvolle Trophäe.
Wenn mir also einer vom Mittelmaß erzählt, von der Balance, würge ich trocken. Das Mittelmaß funktioniert nicht, es passt mir nicht, das sitzt mir zu eng am Hals & zwickt fies im Schritt. Wer will schon Maß halten, wenn man selbst der Maßstab ist? Ich bin ein Meister der Verbote & Regelbrüche, einer, der stets am meisten unter den eigenen Konsequenzen leidet & sie gleichzeitig zu Notwendigkeiten erklärt. Ich kann nur extrem. Entweder ganz. Oder gar nicht.
#2 Das Schreiben, oder: Ein Windmühlenkampf
Kafka hat einmal gesagt, sagt man, er sei Literatur. Ich hingegen, ich weiß, dass ich prozessualer bin, eine Transitversion Kafkas – noch skizzenhafter als er, & größer im Scheitern. Wenn ich also etwas bin, dann Das Schreiben selbst. Denn auch das Scheitern ist eine Formulierung des Schreibens, eine Annäherung.
Ich bin einer, der von sich selbst verfolgt wird, der sich beobachtet bis zur Blindheit – mir bleibt nichts geheim vor mir, ich kann mir nichts verbergen. Alles, was ich denke, sehe, fühle, wird benutzt, verändert, abstrahiert. Nichts gehört mir, sondern einem Prozess, einem Zustand der Veränderung. So gehen mir alle Wörter durch & durch, immer: ihr Klang & Rhythmus, ihre Bedeutung, der Kontext, die Gefühle darin. Wenn ich schreibe & im Schreiben angekommen bin, wenn der Gedanke so fließt, dass er zur Flut wird, existiere ich ganz, da bin ich vollständig. Es gibt keine Grenzziehung zwischen mir & dem Schreiben, nur eine Grenze zwischen mir & dem Geschriebenen. Ist etwas vollendet, die Sätze an der richtigen Stelle & die Wörter klingend & rein – der Text wie ein Lied –, gehört es nicht länger mir, es gehört einem anderen. Einem Fremden, von dem ich nichts weiß & auch nichts wissen kann. Ich bin das Geschichtenerzählen. Nicht die Geschichten.
#3 Meine Ikonen oder: Der Fetisch des Alltags
Als ich das erste Mal bei meinem besten Freund Don zu Hause war, das ist jetzt schon über 5 Jahre her – er wohnt mittlerweile in Barcelona, seiner Geburtsstadt –, war ich fasziniert von der Lebendigkeit seiner Wohnung. Er teilte sich die drei Zimmer mit seiner Freundin, der spanischen Kriegsgöttin, (sie trug ihre dunkelbraunen-fast-schwarzen Haare lockig & ihre Lippen stets lächelnd zum Schutz gegen künftige Sorgen). Da waren riesige Büchertürme auf improvisierten Regalen, schiefe Rahmen ohne Bilder, Schallplatten in den Ecken, eine Schreibmaschine, die Ukulele; ich habe mir damals alles ganz genau angesehen, ein Medaillon hier, eine Brille ohne Glas dort, & habe mir vorgestellt, welche Geschichten diese Gegenstände erzählen könnten. Ich fühlte mich, in aller Schlichtheit, dort mehr zuhause, als in dem Ikea-Ausstellungsraum, den ich damals mein Zuhause nannte, mein Mausoleum. Dabei wollte ich nichts sehnlicher, als angekommen sein.
Da-Sein – was heißt das eigentlich? Wie definiert sich Erinnern? Steckt die Essenz der Erinnerung in den Gegenständen, mit denen wir uns umgeben – nehmen sie die Bilder auf, die Gerüche, die Menschen, die wir lieben? Oder bleiben sie nur Gegenstände? Woher kommt überhaupt unser Bedürfnis nach Gegenständlichkeit, nach Fixierung?
Ich habe über die Jahre versucht, meiner Wohnung Leben einzuhauchen, sie zu einem Objekt zu machen, das untrenn- und unrettbar mit mir verknüpft ist; ich wollte kein Museum & auch keine Katalogperfektion, ich wollte, dass der Ort, an dem ich lebe, zu einem Teil meines Lebens wird. & keine Rumpelkammer. Die Vorhänge mussten weiß sein, ich hatte als Teenager bereits von weiß wallenden Stoffen geträumt, & der Schreibtisch einfach & schlicht; ich wollte ein weißes, sanftes Licht in allen Zimmern, Pflanzen, schwer vom Wachstum, in massiven Töpfen. Das Plastik der Studentenzeit sollte weg, der Presspan, die billigen Stoffe ohne Naht.
Ich habe angefangen, den Dingen einen neuen Wert zu geben, aus leeren Vodkaflaschen – geschliffen & funkelnd –, wurden Karaffen, aus kaputten Holzrahmen & eingerissenen Postkarten neue Bilder an allen Wänden. Ich habe mir eine weiche Decke gekauft, die ich mir manchmal über die Schultern lege, wenn ich zu empfindlich für T-Shirts bin, & eine massive, runde Taschenuhr, die ich jeden Tag aufziehen muss, damit sie nicht stehenbleibt. Ich habe angefangen, Farben bewusst zu verwenden, habe das meiste auf Schwarz & Weiß reduziert & das Rot als Tupfer dazwischen. (Liebe, Revolution, Tod). Die Bilder erzählen jetzt Geschichten – der heilige Franz von Assisi, Kurt Wolff & Unica Zürn –, die ziselierten Tassen (die eine aus England, die andere aus Kreuzberg) & die seltenen Bücher vom Malik-Verlag. & apropos Bücher: Georges Perces Les Choses wurde mir ebenso wertvoll wie bitter, & auch Huysmans À rebours geht mir manchmal nicht aus dem Kopf. Vermutlich macht mich das zum Snob, but who gives a shit?
#4 Der König der Ängste oder: Wie man sich fürchtet
Seit Jahren leide ich immer mal wieder unter leichten bis schweren Panikattacken. Meine Angst ist da manchmal ganz subtil, wie Tinnitus oder eine flackernde Glühbirne – ein Detail meiner Wahrnehmung, das ich nicht erfasse, das ich nicht als Fremdkörper begreife, sondern als normale Ausgangsposition. Ich weiß nicht, wann das so richtig angefangen hat, aber es muss früh gewesen sein, vielleicht, als ich meine eigene Sterblichkeit auch wirklich begriffen habe. Es ist dabei weniger die Angst vor dem Tod, die ist rational gesehen ja durchaus unsinnig, als vielmehr die Angst vor Kontrollverlust & Hilflosigkeit. Die Ohnmacht des Ausgeliefertseins.
& nur um Missverständnisse gleich aus dem Weg zu räumen: Nein, die Angst definiert mich nicht, sie gibt meinen Tagen weder Rahmen, noch Takt. Die Angst ist eine Möglichkeit, eine Art Kurzschluss, die sich nicht vorhersagen lässt. In 90% der Fälle lebe ich wie ein Mensch, wie jeder Mensch, kleinlich & in den eigenen Sorgen wie ein Kaiser über ein zerfallendes Reich, aber es gibt Trigger, von denen ich weiß. Manchen kann ich aus dem Weg gehen. Anderen nicht. & wieder anderen muss ich mich stellen.
Wenn ich beispielsweise im Flugzeug sitze – denn meine Flugangst ist mit Abstand die schlimmste –, betrunken & mit Beruhigungstabletten im Blut, & der neben mir hört Musik & ignoriert mich & die Panik in meinen Augen, dann bedeutet es Kraft im Flugzeug zu bleiben, nicht aufzustehen, nicht zu schreien & um mich zu schlagen; es bedeutet Kraft diesen Moment zu dulden, ihn zu ertragen. Natürlich bewundere ich die Menschen um mich, die geschäftig mit ihrer Zeitung rascheln & müßige Gespräche über die Abendplanung führen, & ich hasse sie dafür, dass sie einen Zustand zur Normalität erklärt haben, den ich als Perversion empfinde. Sie wissen in dem Moment nicht, was es bedeutet, einen Kampf um die Normalität zu führen – einen Kampf, den kaum einer wirklich bemerkt oder bemessen kann. Selbst meine besten Freunde verstehen nicht die Tragweite der Angst, ihr Gewicht. Im Flugzeug sitzen sie neben mir & rollen die Augen & seufzen meinen Namen, als müsse ich mich schämen, Angst zu haben. Autofahren ist doch viel gefährlicher. Ja, & sterben muss jeder. Nur wem hilft denn das? Eben.
Ich begreife die Angst als Herausforderung & das Überwinden der Angst als puren Mut. Ich fühle mich mutig, sobald ich das Flugzeug verlassen habe, tapfer. Ich fühle mich, verdammt noch mal, wie ein beschissener Held, der gerade den Scheißdrachen erlegt hat. & so soll das auch sein. Wer sich nicht von der Angst kontrollieren lässt, wer sich selbst überwindet & die Wahnvorstellungen der Angst, ihren alles vergiftenden Biss, der verdient Anerkennung, der verdient die lächerlich-überdimensionale Toblerone aus dem Duty-free, auch wenn die keiner braucht – aber da hat sie ja was mit der Angst gemein. Angst ist keine Weltanschauung, nein. & erst recht keine Lebensgrundlage.
#5 Über die Liebe oder: Wie ich begehre
Absolut. Immer nur absolut.
#6 Unausstehliches oder: Das Überschreiten der Grenzen
Essgeräusche machen mich alle, das Schmatzen & Nagen, das Beißen in einen Apfel beispielsweise, das Zerkauen von Möhren. Wenn im Kino einer zehn Minuten an der Chipstüte rumfummeln muss, statt sie einfach – kurz & schmerzlos –, aufzureißen. Überhaupt: Chipsessen im Kino. Wenn der Busfahrer trotzdem losfährt. Rauch & der Geruch von Rauch, der am nächsten Morgen noch viel schlimmer ist, weil er auf der Haut liegt wie Frischhaltefolie. Knoten an Stellen, wo keine sein sollten. Nasse Socken sind das schlimmste.
#7 Die Wortfindungsstörung oder: Lange Rede, kurzer Sinn
Ich kann mich nicht kurzfassen.
Ich schaffe es leider nicht auf 7 Nominierte, aber: Qualität statt Quantität:
Frau Wirsching
Fräulein von & zu Amok
Frau Fragmente
Der Stadtphilosoph
Spielregeln für den Award:
– Verlinke die Person, die dich nominiert hat und bedanke dich (oder verfluche sie dafür)
– Liste die Spielregeln auf
– Nenne 7 Fakten über dich
– Nominiere 7 weitere Blogs
[…] von mir äußerst geschätzte Monsieur Manie hat mich für den One Lovely Blog Award nominiert! Herzlichsten Dank dafür! Diesmal hat das […]
Gerade gelesen. Gelesen oder weggeatmet, denn wenn man unten durch ist, kann man ja gerade oben wieder anfangen. Erlaube mir bitte zu sagen: du bist eine liebenswerte, schräge, neurotische, wahrheitsbesessene, schmerzhafte Diva. Du bist Geschichtenerzählen, ja. Und Worte bis zum Exzess ausreizen, um ein haarsträubend gutes Bild zu malen. Und ich bin jetzt endgültig Dein Literatur-Groupie, das Dich ebenso gut wie abgefahren wahnsinnig darin findet und ganz nebenbei Dein „Der Liebe wegen, die stets möglich ist“, sofort an 1000 Hauswände sprayen möchte. Gnadenlos. Überall hin. Chapeau Monsieur.