Die Kurzfassung: Ich träume viel & ich träume schlecht, meine schlechten Träume führen mich ziellos durch die Nacht.
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Die Langfassung: Um 3 Uhr schrecke ich auf, erinnere mich an Säulen brennenden Feuers, Wolken: violett & gelb & grün, wasserfarbige Wolken & deckweißlos; darunter: ein Wind, der um die Häuser fremder Städte streift, der wirft Erde auf, rüttelt an Ästen & Fenstern, der kreischt aus der Ferne wie Kinder. Mein Mund ist trocken vom Schreien, wund. Meine Finger suchen das Licht, finden Feuchtigkeit, eine Feuchtigkeit, die warm war & kalt wurde & sich jetzt obszön anfühlt unter der Haut, wie Speichel & Blut, wie Sperma kurz vorm Trocknen, & mir steigt Panik auf: Was ist das?
Dieses Wachwerden ist ein Stürzen – ich stürze aus dem Kissen, stürze gegen die Wand & bäume mich auf, greife jetzt ins Ungefähre, mitten rein ins steinerne Dunkel, greife nach dem Kabel, von dem ich weiß, dass es da ist, da sein muss, & finde den Schalter, der mit einem Klicken nachgibt, der anklickt & – plötzlich rinnt Licht, rinnt zu Feuer & Rauch, rückwärts wälzen sich Flammen über die Wände zur Decke, da staut sich der Brand, schreit. Die Luft flimmert vor Hitze, wabert & zittert, zerschmilzt zu Fenstern aus Glut, glitzert rot, gelb, weiß; dahinter: brennende Bücher.
1933. Auf einem Platz stehn die Menschen & werfen Papier & Leinen fort, erst einzeln, dann mit beiden Händen, schließlich mit Schaufeln. Seitenweise rascheln die Bücher, die kippen dumpf aufs Kopfsteinpflaster – Kästner & Mann, Freud & Tucholsky, Heine & Marx, Seghers, Döblin, Werfel & Zweig – die schwarzen Wörter werden schwärzer, drehen sich zu Rauchfahnen, die zischend aus den Feuern steigen, die zerhaut der Wind zu Asche, Asche zu Asche, die wirbelt von rechts über die Menschen am Rand. Sie brennen Enden in die Welt, brennen Löcher in die Zeit, Glutlöcher, die verschlingen alles. Sie rufen die Namen laut in die Nacht & lachen, schaufeln die Bücher ins Vergessen, schaufeln Gedanken zu Tode, Gefühle, Ideen, die Menschlichkeit schaufeln sie zu Tode & die Fenster zittern; davor: die kommenden Leichen.
1498. Das weiße Büßerkleid brennt wie Zunder, ist es doch nur aus grobem Stoff; es schlägt dem Toten um die Ohren, schlägt ihm heiß & ungnädig ins Gesicht, wo es die Haare entflammt, die schwarzen, schweißklebrigen Haare – schon brennt der ganze Kopf, so leicht fängt ein Mensch Feuer! Savonarola, du hängst wie ein Heiliger in deiner schmelzenden Haut, die hatten sie dir gelassen – nicht aus Gnade, sondern aus Faulheit. Vom Ketzer durfte nichts bleiben, noch nicht mal die Asche. Du bist schon tot, als die Flammen dich verzehren; deine Augen sind weiß, die sehen nichts mehr. Da aber, da sind die jubelnden Menschen auf dem Piazza della Signoria, die schwiegen bei deinem Fall in die Tiefe & riefen entzückt Hurra bei deinem geknickten Genick. Dann: vorschnelle Urteile, ein Klatschen von hunderten Menschen – Geschworene, die den Geschwüren ähneln, die sie sich abschneiden wollen – die Sonne, die scheint als ginge es alle was an – die Stimmen, so viele Stimmen, & alle reden sie zugleich.
Die Zeit geht aus den Fugen, sagt sie, & biegt sich die rotblonde Strähne zurück hinter die Ohren wie Gold. Ihre Augen sind groß & braun & kugelrund; wenn sie einen ansieht, bleiben die Uhren stehen; da bricht einem der Schlüssel im Schloss ab, da fällt einem das Brot aus der Hand & direkt auf die Socken. So eine bringt Unglück, sagen sie im Dorf, so eine bringt schlechte Ernten & die Pest mit ins Haus. Sie aber geht leicht. Sie streift mit den Fingern die Wände, die jetzt klamm sind im Winter, & sagt: Hier, genau hier & deutet auf die Fliesen, sie seufzt schwer & schüttelt den Kopf. Hier lag sie. Wer? Die Frau, die hier gewohnt hat.
1918. Das Haus steht seit 6 Jahren, das Parkett riecht noch neu. Der Glasschliff der Türen funkelt grün & blau, das sieht besonders morgens sehr schön aus, wenn das frühe Licht des Tages durch die Fenster hereinkommt & sich, am Klavier & den massiven Bücherregalen vorbei, durch das ganze Zimmer streckt wie Hände; das Glas spiegelt weit & wirft bunt-glitzernde Muster gegen die Wände im Flur, trifft dort auf den goldnen Spiegel, der wiederum die Sonne weiter trägt, ins Innere der Küche, wo die Wände dunkel sind von Dampf & Bratfett. Hier blitzen die Töpfe manchmal, die Terrinen, das Besteck – zumindest, solange die Schubladen offen stehen, was selten passiert, denn das erlaubt sie nicht. Sie ist undeutlich, eine Frau mit schwarzen Haaren, im Nacken zusammengebunden, eine Mutter, die schenkt ihrem Jungen manchmal einen Löffel Marmelade zur Belohnung, die streicht ihm durchs blonde Haar & sagt: So schmeckt Erfolg, & wirft dem Hausmädchen die Groschen in den Putzeimer, wenn der Hausflur nicht glänzt, das fünfte Mädchen schon, was bilden die sich eigentlich ein? Das ist ein Arbeiterhaushalt. Sie steht am Fenster, jetzt, steht am Fenster & sieht raus auf die leere Straße, es ist Abend, es geht auf halb 7, & das Licht verwandelt nur noch die Gehwege, nicht mehr das Haus. Sie wartet, wartet auf wen, wartet worauf?
1945. Der Februarhimmel glüht rot & weiß, glüht aschen & schwarz. Es regnet Bomben. Die Erde zittert unter dem Gewicht der Erlösung, die Amerika über Berlin abwirft. Alle sollen erlöst werden vom Gift des Nationalsozialismus‘. Erlöst von den KZs, die sie aufgebaut haben, die errichtet sind aus Knochen & Hunger, dort im Osten & Norden & Süden & Westen; erlöst von der Ideologie der Schwachen, erlöst von der Macht & dem Willen zur Macht, von einem Glauben an Blut & Erde, von Hitler & seinen Idolen, erlöst von seinem toxischen Heil. Die Bomben lehren Demut. Lehren Strafe. Wieder ein Haus, das in sich zusammenfällt, als hätte ein Finger es umgeschnippt, tosend stürzen Wände in Wände, fallen Dächern & Böden nach, darin: die Menschen. Menschen fallen Menschen nach & direkt in die Flammen. Hier: Rauch, der wahllos aufsteigt wie Seufzer. Vor Jahren haben sie Löcher in die Welt gebrannt, jetzt brennt die Welt sie aus, & auf den Straßen: die Schreie, das Wehklagen, ein Volk auf der Flucht ins Nirgendwo.
451. Pfeile stoßen sich dem Mann in den Hals, es ist gleich ein Dutzend, links & rechts gehn sie nieder, in Brust & Bauch, sie zerschlagen die irdenen Vasen, zerschlagen dem Vieh die Augen, reißen sich ins Fleisch. Das Zischen der Pfeile klingt wie das Pfeifen von Kindern. Überall stoßen Pfeile in den Boden, stoßen sich brennend ins Heu, in die Dächer der Hütten. Die Frauen schreien, greifen sich schreiend die Kinder, die auch schreien, die ganze Welt schreit jetzt, schreit ein einzelnes Wort: A-t-t-i-l-a! Von Osten kommen die Reiter, bringen Waffengeklirr & Rauch, den Geschmack des Todes, sie scheuchen die Menschen vor sich her, treiben sie von Osten nach Westen, treiben sie vor sich her wie Schafe, nur keine Pause, nur keine Rast! Einer packt die Frau an den Haaren, packt sie vom Pferd aus & reißt sie zu Boden; er zerrt sie hinter sich her, zerrt ein Bündel aus Fleisch, die ist ganz wild vor Angst, die schlägt um sich, die weiß nicht wohin. Ein anderer schwingt die Axt & trennt Köpfe von Schultern, trennt Gedärme voneinander, trennt Arme von Händen & Füße von Beinen. Nur fort!
Ich schrecke auf, es ist 3 Uhr, die Nacht lastet schwer. Wann hört das auf? Ich greife nach Licht & finde neue Zerstörung: Lanzen, die gegeneinander schlagen, das Dröhnen der Kanonen, Wirbel von links: hier stürzen sie die Menschen zum Fenster hinaus, hier nageln sie Tiere ans Holz, Pestmasken, weiß leuchtend in den flüchtigen Flammen der Laternen, Wirbel von rechts: Menschen, die tanzen, die tanzen im Kreis, die legen einen in ihre Mitte & tun so, als wäre er tot, sie wehklagen & scherzen dabei, die heben die Arme & Beine, die sind ganz irr vom Wein, & später, wenn der Morgen graut, geht einer über die Schlachtfelder & stiehlt den Toten die Ringe von den Fingern, da sitzen Raben auf Schädeln & zerren an Augen, was musst du sehen? 2001: ein Hochhaus, das sich selbst erschöpft, das atmet sich aus zu Baustaub & Trümmern, 1572: das Blut, das in die Seine fließt, färbt sie rot, macht sie stinkend & träge, trägt Arme & Köpfe & Leichen aus Glas, 1642: brennendes Land, so weit das Auge reicht, brennende Häuser, Dörfer, Städte, der Kriegslärm als Musik einer Generation, kriegsgeborene Kinder, die sterben wie sie leben: blutig & kämpfend, & aus den Träumen wälzt sich die Frau in Schwarz, wälzt sich nach oben aus den Wellen der Zeit, die erst durchsichtig sind, dann weiß in der Gischt, dann braun & schwarz & trommelnd unter den Toten, & steht wieder am Fenster, wartet.
1917. Das Senfgas senkt sich wie Küchendämpfe, es riecht nach Knoblauch, aber sonst ändert sich nichts. Es dringt ihm durch die Kleidung direkt in die Haut, da brennt es, verätzt das Gewebe, da wachsen Blasen, da wird aus Haut plötzlich Wachs unter der Flamme, & dann steigt das Gas plötzlich höher, steigt aus dem matschigen Graben einen Meter nach oben, wirbelt über Bauch & Brust hinauf zum Hals & schiebt sich verkehrtherum wie Nägel zwischen die Lippen, dringt hinein in den Mund, wo es alles versengt, dringt ein wie flüssiges Blei & sinkt in die Lungen, kappt Bronchien, erstickt ihn beim Luftholen. Keine Hoffnung. Er stirbt. Sie aber, sie wartet, sie wartet auf seine Rückkehr. Nicht auf Briefe. Die kommen viel zu spät. Alle Briefe kommen stets zu spät.
Etc.