Für die Ewigkeit

I am I am I am*

1.
Eigentlich. Du sagst eigentlich als wäre alles klar. Als hätte ich mich nur verhört & als müsse das jetzt jemand klarstellen, etwas, das völlig offensichtlich ist. Dass der Himmel blau ist beispielsweise, obwohl er das gar nicht immer ist. Im Grunde ist dieses Blau nämlich auch nur so eine Annahme, als gäbe es diesen einen Farbton. Gibt es nicht. Scheiße, guck doch mal hoch, da ist heute alles grau. & später scheint die Sonne.

Ich sitz mit dir auf der Straße, in einem Bistro in Kreuzberg, & der Kaffee ist kalt, aber ich find das echt fantastisch, alles, sogar den Wind, der mir das Haar zerzaust. Zausel denk ich, auch so ein Wort. Am Nebentisch lachen sie, als wäre es eine Art zu atmen. Eine Frau, die ein Kleid aus purpurner Seide trägt, kommt von drinnen nach draußen & stellt kleine Lilienbouquets auf die Tische; alles strömt, alles lebt. & knistert. Sie lächelt uns an, strahlt, & tauscht den Aschenbecher aus. Da sagst du dein Eigentlich:

Eigentlich läuft doch gar nichts, wie geplant.

Als ich zahle, schweigen wir. Vielleicht aus Trotz. Vielleicht, weil mir nichts einfällt & du erschrocken davon bist. Normalerweise fällt mir nämlich immer etwas ein. Heute nicht. Ich fühle mich leicht, fedrig, ich fühle mich weit. Unsterblich fast, wenn das Herz nicht wäre, das jeden Schlag zählt. Was will ich denn sagen? Dass ich eigentlich ganz glücklich bin ohne dich?

2.
Später. Ein bisschen später nur, da steh ich in der U & der Boden wackelt, die Füße, das Buch in der Hand, die Augen. Beim Aufsehen treffen sich unsere Blicke – so stell ich mir eine Atomfusion vor, das Verschmelzen zweier Partikel, ihr Einswerden. Ich lasse mich fast fallen vor Schreck, weil da plötzlich jemand ist, der mich wahrnimmt, ich meine: mich als Mensch, nicht nur als Statist, der für ein paar Stationen verlegen seine Rolle spielt, da sieht mich einer an & meint mich, & ich schiele ein bisschen vor Verlegenheit & grinse schief, weil irgendwas muss ich ja tun, & der andere, der grinst schief zurück. Zwischen uns ist der luftleere Raum, da essen sie Döner & trinken Bier & verkaufen den Straßenfeger, aber dahinter, an den Rändern, da sind wir, da sind zwei Menschen, die sich als Menschen begreifen – kurz nur, für einen Intervall, solange, wie die lästige Blechstimme der BVG-Tante nicht losscheppert, ka-tusch, einen Herzschlag lang – aber wir sehen uns, uns!, die Narben in der Haut & die Kleidung, wir sehen die Körper, die wir sind & dahinter: eine Geschichte. Ich schlage die Augen nieder, spüre das Blut, das mir in die Wangen sprudelt, schlage die Augen auf, denke an Tennis & an Omletts, & mein Grinsen wird so krumm, dass ich an die Bilder aus dem Photoautomaten denken muss, die in deiner Brieftasche sind von uns beiden, & dann bin ich da, höre Weinmeisterstraße & ich bin da. Der andere ist noch lange nicht da, der muss weiter, aber ich, ich muss hier raus, einen Schritt nur, raus aus dem Gravitationsfeld & in den Gegenwind des einfahrenden Zuges hinein & die Haare zauseln. Es riecht nach frischem Brot. Das ist für die Ewigkeit.

3.
Was ist, was uns glücklich macht? Was ist Glück, ich meine: überhaupt? Ich denke an Endorphine. An Sex. An die Musik, die immer spielt, seit Tagen schon, an Roys Musik, an die Leichtigkeit der Abende, an den Falafel am Maybachufer & die ersten gelben Blätter, die uns in die Haare fallen. Ich bin, fast will ich’s nicht sagen, aber: ich bin glücklich, Pause, wirklich? Ja.

Ich gehe stürmisch durch die Tage, gehe mit Herzklopfen & feuchten Händen durch die Stadt, die ganz weit ist, weiter als sonst, die plötzlich Namen kennt, die mir fremdländisch auf der Zunge liegen: Schöneberg beispielsweise, Friedrichshain. Da wohnen tatsächlich auch noch Menschen, die leben da sogar recht gut. In Cafés sitz ich & balanciere Kuchen auf zu schmalen Gabeln; auf einem Balkon sitz ich & klatsche Applaus zur Musik, die mir ganz & gar unter die Haut geht & höre dem Hebräischen nach, das mir wie ein Spatz über fremde Lippen springt; im St. Oberholz sitz ich & trinke meinen Grünen Tee zwischen blauem Leuchten & freue mich über E-Mails von Freunden. Ich fühle mich seltsam angekommen in Berlin – das erste Mal seit vielen Jahren fühle ich mich anwesend, nicht nur wie ein Gegenstand, sondern wie ein echter Mensch. Einer, der interagiert, der Freunde hat – ein Zuhause.

Ich lese Sylvia Plaths Bell Jar zum zweiten Mal, weil mir danach ist & hänge Bilder auf, die schon seit Monaten staubig auf dem Schrank lagen; schütte zu viel Waschmittel in die Wäsche & wundere mich nicht. Alles ist real, alles ist hier – war es das denn schon immer? Dieser Geruch, der meiner ist, riechen den andere echt die ganze Zeit? & wenn ich lache, dann klingt das ernsthaft so? Meine eigene Plastizität erschreckt mich, vor allem morgens, wenn ich mit wirren Haaren vor dem Spiegel stehe, & den Bauch bis zum Rücken einatme & die Rippen zähle. Ich muss mehr essen, kaufe Schokoriegel & lasse sie schmelzen. Das ist es, das ist es, sag ich mir jeden Tag. Das ist das Leben, das du wolltest, fuck it. & auch wenn’s mir kalt den Rücken runterläuft, wenn ich an mein Konto denke, oder die finanzielle Situation der nächsten Monate, so fühl ich mich trotzdem frei, frei & ewig & wattig & leicht. Da ist kein Platz mehr für dein Eigentlich. Wirklich nicht, nein.

*aus: The Bell Jar
von: Sylvia Plath

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