Fragmente einer Traurigkeit, die längst vergessen ist

Seltsam, wie manche Versuche scheitern, wie einfach das sein kann, als stoße man was kaputt. Unter meinen Händen wurde V zu Rauch, in meinen Augen: die Leerstelle, ein weiterer Platz, der mal besetzt war, jetzt wieder frei & unbelegt. Nur die Erinnerung an ein Lachen, das schön war. Tausend Bücher & wir, die wir wund sind im Lieben, wir mit unseren E-Mails & Päkchen & Postkarten, wir blieben dazwischen: Othello & Orpheus, Hand in Hand wie Ketten, jetzt getrennt, bald vergessen. Keiner liest noch die Credits, im Kinosaal wird’s schon wieder hell.

Jetzt hebt der Tag die Hände, das ist ein Überfall: Menschen in der U & Menschen auf den obersten Treppenstufen & Menschen mit Zigaretten, die ihren Rauch ausstoßen wie Seufzer, & ich irgendwo da, unter Wolken, im Regen, allein gelassen. Ein altes Lied, das keiner mehr hören mag. Pulsaderschlitzertexte, blödes Wolfsgeheule; den Revolver in den Augen, den Trigger im Mund, so schieße & schieße ich, & treffe stets die Falschen.

V fehlt, als wäre er hier gewesen. Ich hingegen fehle mir nicht. Pille, Pille, Pille, das wird’s schon richten. Ich hab schon Leute dran zerbrechen sehn, sagt Anna & schweigt unvermittelt, als wäre jedes Wort bereits zu viel gewesen. Commitment, sagen sie dazu, als gäb’s kein deutsches Äquivalent, & wenn einer sich die Wimpern auszupft vor Verzweiflung, dann nennen sie’s Kummer. Oder: Wahnsinn. Ich trauere, als sei er gestorben. Versteht natürlich keiner.

Armer Werther, sagt Anna & tätschelt mir beschwichtigend die Schultern; ihr Mund sieht heute ganz fies aus, schmal & weiß, ich denke an Schnee. Anna sitzt neben mir & nestelt am Hosenbein ihres Lovers, des neuesten, aktuellsten, & der Lover an der Kante weiß vor lauter Verlegenheit gar nicht, wo er hinschauen soll. Du darfst nicht immer so viele Erwartungen haben, sagt sie. Das tut dir nicht gut. Erwartungen? Ich gäbe ihr jetzt am liebsten ein Highfive ins Gesicht – mit der Bierflasche. All diese Pauschalgarantien, Wettervorhersagen, Glückskeksweisheiten, mir wird ganz schlecht.

An der Bar hol ich mir ’ne Cola. Alex gibt mir die Flasche & grinst, ich weiß gar nicht, was der zu grinsen hat, denk ich, & senke die Augen. Ich wünschte, ich könnte sie so tief senken, dass sie im Erdkern zerschmelzen. Was los?, fragt er. Du siehst echt fertig aus. Fertig? Bin ich. Ich bin ganz & gar fertig, wie eine Geschichte hab ich mich selbst zu Ende erzählt, bin gerahmt jetzt ein Bild des drohenden Unglücks, & versuche zu nicken, schüttle den Kopf, was geht’s dich schon an?, denk ich, & sage: Trennung. Alex lehnt an, beugt vor, greift mir die Schulter. Was haben alle immer nur mit meinen Schultern?, denk ich. Tut mir leid, sagt er. Wirklich. Im Hintergrund lacht Anna, ich hör sie gackern. Leidtun. Sich selbst & dem andren. Was heißt das eigentlich? Ich fühle nichts.

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