Routinen

Im Leeren schweb ich, ganz dicht über den Dingen. Der Blick durch die Haare sagt stets Braun & zeigt den Himmel voller Wolken. Nichts berühren. Das heißt: nicht fühlen. Am Tisch sitz ich mit zwei Armen, die meine sein sollten & lasse mich hängen; an zwei Stricken, die meine Arme sind, erhäng ich mich, baumelnd zur Tischplatte hin legt sich mein Kopf zwischen Papier. Niemand ist. Niemand isst. Niemand issst. Da, an genau dieser Stelle, war mal wer, & jetzt? Ist da bloß Papier. Ich lege meine Träume neben Kugelschreiber & Visitenkarten, ich lege mich ab, will niemanden sehen. Jeder wird mir zur Herdplatte. Jeder erwidert bereits Gesagtes. Jeder bin ich. Die Augen fremd & schief, wie leere Kastanienschalen, die Hüllen stachlig & das Innere matt, so blinzle ich dem Spiegelbild entgegen, der Kassiererin, dem Postbeamten; ich sehe mit blauen Kastanienschalenaugen & runzle mal die Stirn, das ist alles, was ich mache. Ach, & ich atme viel. Ich atme oft so viel, dass ich keine Luft mehr bekomme. Ich ersticke meiner beim Atmen. Ich knöpfe Hosen auf, schabe Haut über Haut, verschlucke mich. & von vorn: Ich knöpfe Hosen, schabe Häute, schlucke dich. & von vorn: Ich knöpfe, schabe, schlucke. Nichts ist da. Die Hand nicht, die mich streichelt. Der Mund nicht, der mich küsst. Mein Körper ist eine kalte, glatte Fläche, die nicht warm wird. Egal, wie sehr man sie reibt, sie bleibt sich gleich – fremd. & von vorn:

Aufwachen ist wie Aufschlagen. Jeden Morgen schlage ich in meinem Kissen auf, ein Bungee-Jumper mit zu langem Seil. Die Haare sind immer falsch. Die Augen immer rot. Wenn die Nacht fort ist, was bleibt dann von mir? Ich gehe, gehe kreisend, kreise wie die Fliegen unter der Lampe, in der Mitte des Raums & suche Papier zusammen, Stifte, die Socken vom Vortag. Die Luft im Raum ist schlecht, wie kann ein Mensch nur so viel Sauerstoff verbrauchen? (Ich wünschte, du wärst da). Blick zum Bett: zerknautscht & zerlegen, wie von fünf Männern missbraucht, so zerfällt das weiße Bett zu dutzenden Falten. Niemand ist. Ich erinnere mich, wie ich da lag; erinnere mich an meine Hand auf deiner Brust & die Schallplatte, an die erinner ich mich auch. An jedes Wort & jeden Ton. Ich erinnere mich an die Sonne, die golden war & alles golden färbte, dich & deine Haut, dich & dein Haar, die Narben, die noch deine waren bevor sie zu meinen wurden, ich erinner mich gut. Ist das Sehnsucht? Nostalgie? Ich schüttle das Kissen auf & es riecht nicht nach mir. Es riecht nicht nach dir. Selbst nach dem Weichspüler riecht es nicht mehr. Gestern frisch bezogen, heute schon alt. Die einen nennen es Liebe, die anderen Betrug. Ich selbst benenne es nicht. Es gehört zu mir.

Vorne, da ganz vorne, da steht einer, der ist. Oder: war. Einer, der immer sein wird. Ich schneide Kartoffeln in Hälften & bestreu sie mit Curry & Salz; ich sitze vor dem Ofen mit den Händen im Schoß & warte hungrig. Nichts passiert. Niemand isst. Was heißt Altern eigentlich? Sich gewöhnen vielleicht? Die wachsende Resignation messen? Das Glück? Einen Verdachtsmoment übrig lassen wie ein letztes Kuchenstück? Ich erinnere mich an die Tage, als meine Augen noch nicht schwer waren vom Sehen. Als mein Gehirn noch nicht voll war von Bildern. Beim Essen sitz ich auf dem Kissen am Boden & meine Füße sind kalt. Mir tut alles weh. Wenn ich an den Mann denke, der morgens noch hier stand, nackt & die Hände im Nacken — wenn ich an den denke, der sich hier gegen meine Beine lehnte — an den, der vor den Büchern stand — Ich werde ganz schläfrig, wenn ich an all die Schwänze denke. Ich will buddhistische Lebensratgeber zitieren & mich erfüllt sehen, to have a love-filled, joyous & peaceful life: ich sehe mich Brot schneiden, an einem Spätsommertag, & V, der vom Meer her kommt, die Haare wild, die Augen brennend, reicht mir die Lippen; ich schreibe an einem Fenster mit Ausblick: Wellen & Worte umtanzen einander; nachts liegen unsere Köpfe dicht unter den Sternen & die Lungen sind weit; ein ganzes Leben seh ich in Vs Zeilen, in seiner Stimme, den Bildern. & wenn ich aufwache, ist die Welt so schrecklich rund…

Dann ist nichts mehr da, außer das Kissen & die Bücher, & der rote Teppich mit den grauen Socken am Rand. Dann bin ich fort.

2 Comments

  1. wenn ich dürfte, ich wünschte mir noch übersicht über die kategorien. und ein ABOUT. is‘ doch weihnachten aufm ponyhof heute, oder?

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  2. das ist ja ganz wunderbar zu lesen! optisch noch mehr als inhaltlich, der eignet sich mal wieder nicht für entertainment in öffentlichen verkehrsmitteln – ich sehe: man werkelt. so soll es sein.

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