1.
Als ich – nein, streich das: kein Ich. Ok. Schon von weitem sieht man die Flammen. Rauch, schwarz & schwärzer, wallend wie Haar, das sich selbst in die Höhe treibt. Ein Wohnungsbrand! Die Leute – halt, wer soll das sein, diese Leute? Na irgendwer. Streich das; gib ihnen Namen. Ok. Zoey & Joseph stehn beide am Straßenrand & halten sich an den Plastiktüten fest, die sich ihnen in die Hände schneiden wie Küchenmesser. Nein: Messer. Es gibt ja keine Küche mehr. Kein Atelier. Die Bücher? Alles Asche. Selbst das Vinyl? Ja, selbst das Vinyl – das hat erst Blasen geworfen, ist zerronnen & schrumpelte dann zu schwarzen Klumpen zusammen; das hat sich regelrecht ins Fundament gefressen, festgebissen hat sich’s, all diese viele Musik – jetzt: für immer verstummt. Verzichte bitte auf Superlative. Ok. Jetzt: verstummt. Es gibt keine Musik mehr im Hause Vega. Es gibt auch kein Haus. Was übrig blieb: 1x weißes T-Shirt (Joseph), 1x blau-weiß-gestreifte Boxershorts (Joseph), 1x dunkelblaues Paar Socken (Joseph), 1x dunkelblaue Karottenjeans (Joseph), 1x weinrote Wollmütze (Jospeh), 1x Paar roter Chucks (Joseph), 1x weißes Sommerkleid mit Spitzenrand (Zoey), 1x goldenes Gliederarmband (Zoey), 1x Paar goldene Kreolen (Zoey), 1x weißer BH (Zoey), 1x weißer Slip (Zoey), 1x Paar weißer Sandalen (Zoey) & 1x Einkaufstüte mit allerlei Zeug, Nudeln vor allem, Schnittlauch, Zwiebeln & Tomaten – das ist alles, was bleibt. So wird ein Geschwisterpaar heimatlos, so werden sie zu Exilanten des Feuers.
Später. Joseph steht am Fenster, meinem Fenster, & schiebt sich die Vorhaut zurück, ich hab keine Ahnung, wieso. Schon wieder: Ich, das musst du loswerden! Aber es geht hier immerhin um mich. Nein, es geht um uns. Nein ist kein Argument, das lass ich drin, mir egal, was du denkst – du oder die andren; dieses Bild braucht ein Ich. Joseph steht also da, Bronze & Gold, er steht da mit seinem Kopf & dem Hals, den Schultern, dem Brustkorb & den Rippen, mit der Hüfte steht er da, den Beinen & Füßen, mit dem Schwanz in der Hand & sieht ganz verloren zum Bett; da sitz ich drin, im Schneidersitz & reibe mir die Zehen. Die Sonne fällt wie ein Amboss ins Zimmer, die Dinge funkeln staubig. Im Hintergrund spielt Jack White.
Ist das eigentlich alles angemessen? Nein. Ein Feuer ist nie angemessen. Nichts hier ist, wie es eigentlich sein sollte. Lange sitze ich vor Joseph & lasse ihn heulen. Er weint ohne Worte, ohne Regung; ihm laufen die Tränen aus den Augen, als gehörte es so. Keine Bilder, keine Holztische, keine Schränke mehr. Das Feuer nahm alles, es war wirklich gerecht. Zoey sitzt in der Küche & rührt in der Tasse, scheppernd. In dem Strudel, den sie erzeugt, könnten Schiffe verunglücken, der Kaffee wird kalt. Ich nehme Joseph in die Arme, ich halte ihn fest wie ein Seil, umfasse ihn, den Rücken, die Haut; ich bette ihn in meine Hände & küsse ihn sanft. Er fühlt es nicht. Ich sage: Was soll ich tun, ich fühl mich so hilflos. Er sagt: Das ist nicht an dir. Lange schaut er mich an, einer, der aus unruhigen Träumen erwacht & zurücksinkt ins Kissen, so sieht er mich an, ein zerknautschtes Laken. Seine Augenbrauen werden zur Linie, sein Blick wie Glas. Ich, ich, ich, spuckt er. Das ist unerträglich. Er schneidet mir die Arme entzwei, er durchtrennt jedes Tau; als er sich bewegt, ächzt das Parkett. Ich ächze auch.
2.
Im Club spricht mich einer an, der ist wie Plastik; seine Haare, die Haut. Seine Stimme gleitet an mir ab, seine hungrigen Augen; ich bin plötzlich müde, nicke verständnislos zu seinen Fragen & erst als er mich küssen will, begreif ich, um was es hier geht. Nein, sag ich. Das klingt wie eine Ohrfeige. Was für ein Irrsinn, denk ich. Zu glauben, man könne sich durch einen anderen Menschen vervollständigen. Diese gesellschaftsfähige Wahnvorstellung, die besagt, man bräuchte eine bessere Hälfte, mit der man sich zu verschmelzen habe, einen Anker, der einen vor dem nächsten Sturm & damit dem Schlimmsten bewahrt. Was aber, wenn man selbst der Sturm ist & die Welt der Anker hoffnungslos gesunken?
Ich steh an der Bar & rieche den Raubtiergestank. Mir lecken Augen übers Gesicht, mir wird ganz gallig. All diese Verzweiflung, dieses rastlose Suchen & Inszenierenmüssen – jeder Augenkontakt wird zur Möglichkeit. Nur wozu eigentlich?, Sex? Ja. Als Substitut aber. Wenn sie nur ehrlich wären, wenn sie an der Garderobe doch gleich ihre Doppelmoral abgeben würden, ihre Hosen; wenn sich doch jeder dabei eine Handvoll Kondome nehmen könnte & dann, bitte, in die zweite Kabine von rechts. Stattdessen: Menschen aus Schatten & Rauch, Schwänze & Hoden & ein Mundvoll Wichse – wie soll man dabei denn eigentlich nicht verbittern? Die eigenen Gefühle erklärt man sich zu Sentimentalitäten, zu Kitsch. Das streicht man weg & raus aus den Sätzen, das wirft man über Bord mit der Romantik. Der Raum fürs eigene Herz geht sich irgendwann aus wie frische Luft in geschlossenen Zimmern. Herzkammerschleuserei, das ist, was man macht. Immer wieder flutet man sich mit Hoffnungen, die schnell zu Enttäuschungen werden, die wiederum die Bausteine sind für die nächste Begegnung – & verstopft sich damit alle Venen. Kein Wunder alle sind hier ständig geil; das ist ein Blutstau. Die grundsätzlich reduzierte Erwartung ist die gestörte Vorsatzleistung fürs nächste Mal. Wie sich also retten?
Autonomie, ruft’s aus der Ferne. Aber wie denn? Wie soll das funktionieren? Was muss man sich denn abschneiden, um nicht mehr die gleichen (& wenn nicht die gleichen, so zumindest ähnliche) Fehler zu machen? Herzamputationen sind ja doch tödlich, letzten Endes. Also beißt man sich Zähne & Zahnfleisch zusammen & relativiert fleißig die eigentliche Vorstellung der Zweisamkeit. Alles eine Erfindung von A, B & vor allem von C, denn das steht für Hollywood & zerstört Existenzen. Jeden Schmerz macht man sich zur Lernbereitschaft, siehste, jetzt bin ich schlauer als vorher, vorher – vor was?, ist auch egal, da gibt’s keine logische Handlungsentwicklung. Was uns die Filme weismachen, schindet in der Realität längst keinen Eindruck mehr. Außer die Verletzungen. & die Narbenpflege? Für die hat selten wer das richtige Händchen. Keine Sorge, ich — was?, schaff das schon? Als wäre die Liebe ein Berg, den man überwinden muss, die letzte Hürde des Glücks. Als wäre eine Beziehung nur ein Etappenziel, all das Daten & Kennenlernen ein Preis für alle Überlebenden. Trostpreise hingegen gibt es keine. Wirklich nicht. In der Liebe der Moderne gibt’s keinen Platz für die zweiten & dritten.
Es ist ein Balanceakt. Eine Suche nach Bindegliedern, Brücken. Die furchtbar nervtötende, die alles zersetzende Vorstellung der Liebe auf der einen Seite, diese Don Quijoterie, die sich aus der Inszenierung der Zweisamkeit speist; all diese Zottsahnejoghurtwerberei der glücklichen Familie, die Sex&thecitymentalität der Frauen, Playboychauvinismus der Männern, die Homo-Hetero-Gräben — oder nein: -Gräber, denn beide Sexualitäten töten ihre Gemeinsamkeit mit der gleichen Erbarmungslosigkeit, um sie ins nächste Massengrab zu werfen: Der Mensch ist ein Tier mit (Ge-)Lüsten, das eben diese Triebe aufs entsetzlichste verdammt. Auf der anderen Seite das innigste Bedürfnis des Menschen nach Intimität. Wie nicht gestört sein in diesem statischen Zwischenraumrauschen?
Muss man sich die Vorstellung der Liebe erst abschaffen? Was heißt das aber eigentlich, Liebe? Früher hatten die Menschen jahrelang Zeit, um sich zu finden. Um aneinander & auch ineinander zu wachsen. Heute haben wir Speed-Dating. Das heißt vor allem eine Ökonomisierung der Liebe, ein Aufwiegen aller Möglichkeiten zugunsten der schnellsten, praktischsten, befriedigendsten Lösung: Hier wird längst nicht mehr passend gemacht, was nicht passen will. Hier wird entsorgt. Gnadenlos, bedenkenlos, rational. Die Liebe auflockern, die Liebe umbestimmen – wer will das schon? Gleichzeitig sind alle in hellster Panik, dass diese Bindung vielleicht auch die wirklich letzte ist – als nächstes kommt der Grabstein. Sonst nichts. Oh Gott. Mit Anfang 30 holen doch alle gleich die alten Familienwerte wieder aus dem Keller: Heiraten, Kinderkriegen, der Traum vom Eigenheim. & wenn’s die Vintage-Bürgerlichkeit nicht sein soll, dann sind’s vielleicht die Ersatzvergnügen. Mit Mitte 40 aber noch Typen im Club aufreißen? Puuh, also… hmmm… ja, da stehen sie dann, die Abgehalfterten & glotzen den Jungen auf den Arsch. Wenn man jung ist & in der Jugend ein Gott, will keiner mit so was Berührung finden; da wischt man sich angeekelt den Arm ab, wenn versehentlich mal die eigene Haut mit fremder Haut zusammenstößt. Der Hunger aber, der kommt erst mit den Jahren.
Statt Punkte, d.h. Aussagen, setzen wir uns Smileys ans Ende unserer Sätze. Ironisch ist man, aufgeklärt, nüchtern. Keiner will sich zugunsten der Liebe mehr lächerlich machen. Umbringen aber auch nicht. Wie ernst kann man sich selbst überhaupt noch nehmen, beim Sitzen zwischen den Stühlen?
3.
Am dritten Tag nach Tag 0 sagt Joseph, er verlasse die Stadt.
Er leiht sich Geld, er verkauft die zwei Werkstücke, die er vor Jahren seiner Mutter geschenkt hat, er redet von Laos.
An Tag 7 ist er plötzlich weg.
Zoey schweigt weiter.
Danke für diesen Text
Bitte. Glaub ich.
„Das Feuer nahm alles, es war wirklich gerecht.“ – Sehr gut!
Danke schön.