Über die Kopfschuss-Heiterkeit

In jedes meiner Essen mische ich Erdnussbutter, viel Ketchup, Rucola; alles schmeckt mir gleich. Manchmal esse ich aus Gleichgültigkeit direkt aus dem Topf. Eigentlich habe ich gar keinen Hunger. Ich esse zu viel. Lass uns über was anderes reden, ja? Vielleicht über den Sond-Mann, der kam wie die Hitze eines Julitages, wie ein Gewitter so stark, wie Wolken & Rauch, & jetzt? Ganz fern. Schau – hier liegen sie & halten sich die Hände bis sie ganz warm sind & feucht, bis sie schmelzen wollen wie Butter. Wie sie sich halten & loslassen, wie sie die Unbeholfenheit rufen, wenn sie keiner sonst beim Namen mehr nennt. Samstags sind sie die Verführung, dienstags die Zeit, am Sonntag werden sie zum Frühling. Aufgeschüttelt wie Kissen liegen sie & suchen Widerstände, die ihre Haut nicht hat; vergehen. Nachmittagsobsessionen: ich entfache mich erneut, eine unsinnige Glut. In der U-Bahn nach Hause lese ich Manganellis endgültigen Sumpf, höre Musik, falle.

Nein. Ich falle nicht. Es gibt keinen Boden unter meinen Füßen. Über die Nacht gebeugt sitz ich am Tisch, da in der Küche, wo das Licht weiß ist & die Fensterreihen im Hinterhof alle gelb erleuchtet. Die Seiten füllen sich mit dir, füllen deinen Namen bis zum Rand & ergießen ihn in jede Zeile, in den Strich fließt er ein, dein Name, deine Hände & amberfarbenen Augen, ich sprech dich kaum aus, schmecke dir nach wie ein Gewürz, wie Kurkuma vielleicht, & bin dunkel im Hunger. Der Alltag reicht uns Ketchupflaschen, Nudeln – Salz. Dann ist er vergessen. Grade noch im Raum, im nächsten schon verschwunden. Hier: deine Tätowierungen, das Herz auf deiner Brust, dein J-gleiches Lachen, deine H-haftigkeit, von allen Schatten der schönste des Jahres, hoffnungslos & randlos, fest in der Umarmung – fort.

Ich lese die Camus-Biografie von Radisch, darin:

Aber die einzigartige Größe des Menschen ist es zu bekämpfen, was mächtiger ist als er selber.

Lache nicht, lächle allenfalls, erloschen. Der endgültige Sumpf als Metapher, Camus als stehendes Gewässer, der letzte Kuss müde & schwer. Als ich gehe, nieselt es & die Straße wird mir ganz schief. Überall: die Sirenen der Krankenwägen, als bräche jetzt jedem das Herz – außer mir. Mir geht’s gut, sag ich zur Nacht, die über mich gebeugt sitzt wie zu Gericht; sie zeigt mir junge Haut & wunde Lippen, zeigt mir Augen so groß, dass die ganze Welt noch in sie passen könnte, schimmert kalt. Mich seh ich nicht. Lese:

Abends kommt er nach Hause, brät sich Eier und isst sie aus der Pfanne. Er schläft mit dieser oder jener Frau, ohne große Sentimentalitäten.

Sentimentalitäten, denk ich, Gefühllosigkeit als Attitüde. So ein Schwachsinn. Eine Koffeintablette nehm ich noch ein, dann eine zweite. Zu Hause wartet Roland Barthes. Der Sond-Mann zieht währenddessen weiter, an den Rand beider Augen zieht er, ins Grau eines letzten Absatzes, ins Weiß der Jahre. Am Himmel entlang in Richtung Friedrichshain. Sich selbst überwinden muss man, denk ich als ich ihm nachsehe, regungslos, vielleicht sogar frei. Wir haben uns gedreht wie Liebende, das stimmt, haben unsere Rücken verzahnt wie Schlossergesellen die Türen – dann: Staub auf unseren Augen. Vergangenheit gelebtes Erinnern. Wie, frag ich mich auf dem Weg durch Kreuzberg, wie wird
J e m a n d
plötzlich irgendwer? Als Querschläger geh ich durch die Straßen, die Lederjacke streckt mir den Rücken, ich halte mich so grade wie nie. Stolz bin ich auf mich, auf die Absolutheit, die ich bereit bin zu geben, auf den Weltstillstand, den ich auszulösen vermag; jeder, der mir begegnet, ist eine Möglichkeit, in der Stadt der Städte vielleicht nur eine Eventualität, aber dafür eine, die so rein ist wie Sand.

Im Hotelbistro läuft mir die Nase, ich bestelle Ingwertee. Was weiß ich schon über die Liebe? Was übers Verliebtsein? Ich kenne die Leidenschaften, Obsessionen, die Dunkelheit der Liebe kenn ich, ihre endlose Gier. Ich verschiebe Bilder mit dem Zeigefinger & benenne sie lichternd, sage dazu: Schwanz, Maul, Wichsen; ich gehe zwischen Körpern hindurch, die gemacht sind zum Sex, die fest & weich sind an den richtigen Stellen & atme fremder Lungen Luft. Vom Lieben weiß ich nichts. Ich habe meine Bücher, den Strich hab ich, der sich abwälzt wie eine Rolle Stacheldraht, die Musik. Die Illusion verstehen zu müssen – sich selbst erklären zu müssen; daraus: die Enttäuschung der Leerstellen. Ein neues Hemd macht dich nicht zum besseren Menschen; trotzdem bestell ich mir ein T-Shirt & ein paar Schuhe über einen Online-Shop, geliefert wird morgen.
Später rühre ich im Ingwertee & erkenne, wie unsinnig das alles war, wie irrational, kindisch beinahe. Wie wenig durchdacht das ganze Spiel aus Berührungen & Verlusten; die Annäherung auf der Herdplatte. In Wahrheit, da schaff ich mir meine Obsession ja nur selbst. Meine Angelhakenmenschen, die mich für eine Weile von der Notwendigkeit ablenken, einmal über mich selbst nachdenken zu müssen. Oder über andere, die etwas bedeuten. Über die Ambitionen, die Absurdität. Eine Obsession ist ja nur der Lack des Mangels, eine übermalte Stelle, vielleicht wartet darunter der Rost? Im Grunde ist es ganz egal.

Der deutsche Bildungsroman sagt: Spring! Über deinen Schatten & auch über den nächsten Menschen, solange er dir nur quer genug im Wege steht, wie Steine & Schutt, wie Nachkriegsdeutschland musst du dir alles aus der Laufbahn schaffen, die Hürden & Zäune, die Lücken im Lebenslauf & eventuell die letzte gescheiterte Liebe. Wenn da der Revolver nicht knallt, lad ihn halt durch. Wie soll einer noch die Heiterkeit begreifen, die einen erfassen kann, wenn die Mündung ans Herz drückt, direkt übers Brustbein das kalte Metall; die Hysterie der Erkenntnis: Jetzt ist Schluss, hier gibt es kein Weiter. An die Schläfe gedrückt, will der Verstand alles erfassen & entdrahtet sich schnell. Kurzschlussleben, mind sparks, that’s the end — Könnten in diesem Moment nur Glühbirnen jeden unserer Gedanken erleuchten – es gäbe keine Nacht mehr auf Erden. Das Universum selbst wäre plötzlich erhellt von uns; es würde brennen im Feuer aller Sonnen. In diesem gnadenlosen Licht wären wir zwar nur sternengleich, kurz vorm Verglühen, denn alles würde uns durchbrennen in wenigen Sekunden, ins Wasser gegossenes Blei. Aber wir wären die einzigen Fixpunkte in der Leere, die uns umgibt, wären wie Fenster in einen Sommertag; nicht allein. Wir könnten endlich einander erkennen – sehen, leibhaftig sehen, dass wir bloß uns haben & niemanden sonst: Einzelne Chancen in einzelnen Leben. Hier draußen gibt es kein Rückgaberecht, kein zweites Level. Die Absurdität Camus‘ wäre aufgehoben, für die Spanne eines Lebens vielleicht, oder einen Atemzug nur, so immerhin doch aufgehoben & bereinigt von Revolten & Wüsten, die unser Leben bestimmen. Wir wären glücklich & befreit in diesem Glück. Für so was wie immer.

Am Anfang, denk ich & leere die Tasse, am Anfang ist die Abwesenheit. Erst dann folgt die Präsenz.

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