Ewigkeiten, wirbelnd

Über dich gebeugt, tupfe ich Licht dir auf die Lippen.
Gestern noch, da war etwas von der Welt in mir. Heute ist es fort.

1- Ich reiße & zerre an der Schublade bis sie durchbricht in der Mitte & Briefpapier & Textmarker & Bureauklammern fallen durcheinander; ich sitze mit dem Griff in der Hand, wütend. Wie irrsinnig, denk ich. Wie bescheuert. Als Sisyphos schreibe ich, heute & morgen, sitze im Zimmer bei der Sonne & draußen nieselt es leicht. Warte, warte bitte, warte. Kann ich eigentlich beschreiben, wie’s mir geht? Nein. Ich sitze & sitze, das Gesicht gesalbt wie das eines Königs & die Füße dribbeln nackt zwischen Teppich & Parkett; ich bin glücklich jetzt, denn die Liebe streift mich, sachte nur & im Vorübergehen, aber sie hält mir die Hand unter dem Tisch & sie küsst mich morgens sanft auf den Mund, was für ein Aufatmen in jedem Blick, in jedem Gedanken eine neue Möglichkeit, & darin das Lauern: Damaged goods, das sind wir alle, eine Relativierung ganz leicht mit einem Achselzucken kombiniert, wir haben alle unser Haltbarkeitsdatum längst überschritten – & leben doch! Schau wie wir leben. Am Tisch, hier: eingeklemmt zwischen Muskeln & hartem Stoff, da reiben wir uns die Augen als würden wir uns wundern & wundern uns nicht. Abends dann, wenn die Leute müde sind, werden wir wach & lichtern, brennen, schau wir brennen! Mit der Gabel teile ich Kuchen, schneide Paprika, Tomaten & Gurken ganz klein mit dem stumpfesten Messer im Haus & lache bis die Rippen mir schmerzen, denn die Narben sind frisch. Ich bin traurig jetzt. Alles stirbt & verschwindet, so vieles bleibt mir ungesagt. Die Angst tanzt wie Staub, ich atme sie ein, diese Angst, sie geht mir ins Blut: Noch immer nichts erreicht, noch immer nichts geschrieben, was überdauern könnte, denn nur an wen man sich erinnert, lebt ewig, & ewig leben willst du, & vielleicht hast du dich in allem auch getäuscht, in dir & deinen Stärken, vielleicht bist du in Wahrheit doch bloß ein Versuch, eine Schattenkopie vom eigentlichen Menschen, vielleicht scheiterst du langsamer als andre & nennst das dein gutes Recht. All diese Kinder, die deine werden könnten, all diese Weisheit, mit Gold & Myrrhe hergebracht, sie wird vergehen, wenn du sie nicht teilst, also: teile, teil die Angst vorm Krieg da im Osten, der heraufziehen könnte wie ein Sturm, oh ein Sturm, der zieht seine Wolken, & auf der Krim, da regnet es schon. Reden wir von der Angst. Einem Abschnüren aller Möglichkeiten, das ist wie kurz vorm Blutabnehmen, wenn dir da einer den Arm abschnürt mit einem Gurt & das Blut staut sich in deinen Venen, nur sticht niemand in dich, keine Nadel, kein Messer, es ist nur die Welt. Ein großes Scheitern, eine große letzte Wut. Schau wie wir zürnen, trampeln & schreien & den Teller in der Hand wollen wir werfen als könnten wir etwas von uns wegschmeißen, irgendeine Finsternis, die so fest in uns sitzt, festverwoben mit Fleisch & Knochen, ein Organ ist uns die Dunkelheit & sie pumpt, pumpt Leben in unser Herz, das nicht aufhören will, jetzt nicht, nein. Ich bin durchströmt vom Glück, das schwarz ist & grell & am Rand ganz furchtbar scharf. Am Glück schneide ich mich. Am Leben. & blute Gold.

2- Aufgeregt bin ich, morgens, wenn du mich ansiehst & ich dich & alles ist gut, wirklich gut, ohne Scheiß, & ich gehe mutig durch die Straße, obwohl es windet & stürmt, & Plastikmüll, Tüten & Becher, kreiselt hoch in die Luft bis er niederprasselt wie Hagel & im Supermarkt zähle ich das Kleingeld bis es ganz warm wird zwischen meinen Fingern & irgendwie ist nirgends ein Ende. Ich krümme mich gegen die Welt, ein Horizont ohne Wasser & Fels & ohne eine Wolke im Blick, sondern voll mit Bildern & Lärm. Oh wie ich lärme. Wie ich den Lauten selbst noch die Lautstärke nehme & hinausposaune, was schön ist, schön sein muss, es gibt keine Alternative zu diesem einen Hier. Ich lese in den Notizbüchern von alten Ängsten & finde ganz viel Neues darin in jedem Wort. Die Tage vibrieren vor Echos, Erinnerungen. Ich – das ist eine Zeitachse ohne Anfang & auch ohne Ende; ich gehe in alle Richtungen zugleich. Kaufe ein Buch von Blanchot, der schrieb vom Pfeil, der ohne Zielscheibe endlos fliegen mag, einem Pfeil, der nach hinten stürzt wie ein Betrunkener, & ich höre George Ezra dabei in der Endlosschleife:

Wie schön das alles ist, denk ich. Mir ist schlecht vor Hunger & in der Küche warten Nudeln, Ketchup im Kühlschrank, vielleicht ein Gläschen Senf. Alain geht mir dabei durch die Schultern & greift nach Narben, die schmerzen, weil sie echter sind als seine, & ich grinse schief, fast dümmlich. Was für ein Wahnsinn, dass da ein Freund bald heiraten wird & mein Bruder schickt mir meine Nichte als faltbares Bild & ich brenne, lodere, als Fackel zerbrenn ich altes Leid, wie schön! Wie ein Kreisel flieg ich sekundenschnell in jede Emotion, drehe hohl, drehe bis ich falle, umfalle, völlig erschöpft. Müde bin ich. & trinke Kaffee, der zu heiß zum Trinken ist. Gehe, drehe, sitze wieder. Alles gut, wiederholt der Mund. Alles ist gut. Nur nicht das Verb auslassen. Nur nicht den Jetztzustand. Besinnung finden.

3- In manchen Sekunden finde ich eine Ewigkeit, die nahtlos ist wie Träume. Eine übergangslose Ewigkeit, randlos. Eine Ewigkeit, die mir die Hände lenkt, den Mund, die Augen. Eine Puppenspielerewigkeit. Ich sitze dann im Goldlicht meiner Lampen, irgendein Buch in der Hand & ein Glas in greifbarer Nähe. Ich denke nichts, sage nichts, fühle nichts. Ich könnte in diesem Moment genauso gut ein Möbelstück sein, ein Sessel vielleicht. Eine Glasvase. Virginia Woolf. Dieser Moment dauert manchmal nur wenige Sekunden, auch wenn es sich so anfühlt, als wären Tage, Wochen, Monate vergangen, aber die Uhr sagt: 17:06 & das muss natürlich stimmen. Das sagte sie schon vor tausend Jahren. Ich ertappe mich dabei, wie ich die Gedanken anderer denke. Wie ich wiederhole, was ich gelesen habe. Wie ich alte Gefühle wieder fühle. Wie ein Resonanzkörper.

Das ist der Wahnsinn, sagt sie.
Ich sage, es ist ganz natürlich.
Sehnsucht nach: Camus‘ Worten, Eds Honig aus Armenien, Biertrinken mit Rubén. Tanzen.

Heute ist Manganellis Der endgültige Sumpf angekommen. Ich lebe, werde leben, werde gelebt haben. Spurensuche im Staub, das bleibt vielleicht. Irgendwann. Nur jetzt nicht. Jetzt ist es Leben, fuck. Leben.

2 Comments

  1. Wow. Die -3- haut mich schlicht um.

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    1. Ich hoffe, das Umhauen tat nicht zu sehr weh bzw. hoffe, du bist weich gefallen.
      Danke jedenfalls.

      Antworten

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