Liebe, dein lipploser Mund

1.
Wir treffen uns nicht. Denn Wir, das existiert nicht. Da sind nur die Erinnerungen an die Menschen, die wir werden wollten; das reicht jetzt nicht mehr. Also geht auch morgens die Sonne wieder später auf & ich, der ich noch eingewickelt bin in die rote Decken, sitze am Fenster & verstehe nicht, wie es dunkel sein kann um diese Zeit. Mir ist, als werde es zum ersten Mal Winter in meinem Leben. Die Kälte überrascht mich.

Also steh ich auf, irgendwann, & gehe wie ein König durch die Schatten, schweige. Der Kerl im Bett schläft noch, die Lichter sind aus. Die Nacht, die in den Tag kippt, kippt sich mir in Teller & Tassen. Iss mich, trink mich, fick mich gleich hier. Wohin ich auch gehe, die Schwärze folgt mir. Sie rüttelt & schüttelt mir beide Augen zurecht & sagt: Schau hin, hier ist nichts, nur du, & später, im Bett, wenn die letzte Leidenschaft müde wird vom getrockneten Schweiß, & die Hand zu schwer ist am Hals, dann zittre ich. Alles abwerfen muss man, die Gedanken an denjenigen, der blieb – denn das bin ich: zwei Striche in einem schiefen Kreis, eine Struktur -, & den andren, den muss man auch abwerfen, den Graf von Monte Christo, der mir auf dem Schoß sitzt & seine stechenden Augen ins Gesicht bohrt, als könne er irgendwas anderes darin erkennen, als eine Nase, die stets starr ist, & Lippen, die einen steifen Schwanz zwischen sich nehmen. Das einzige, das nicht nach Asche schmeckt, wie jeder Bissen, wie jeder Schluck; alles schmeckt bitter außer die Haut der Fremden, die stets zu spät kommen, zu früh kommen, die sich die Finger am Hemdsaum abwischen & grinsen. Schuljungen in Männerkörpern gehn durch die Zimmer & nehmen alles 1x in die Hand. Du bist nicht mehr – was? Ein bisschen Spucke in ein Arschloch geschmiert. Ein Schamhaar auf der Zunge, das sich abrollt, & rollt, das ist wie Stacheldraht zwischen den Zähnen. Ich will tanzen, sag ich, & drehe die Musik auf, die von allen Seiten kommen will, von oben & links, wo einst Licht war. Jetzt ist es dunkel, & das Dunkel gewinnt. Ich fühl mich begraben.

Träume vom Mars, der in der Ferne aufgeht wie Blut in der Wunde, & streiche mir das Haar aus der Stirn, die ganz wund ist vom Denken. Um mich steht Berlin, eingezwängt auf 6 Quadratmetern Bewegung, & die Lichter sind rot & orange & nicht im mindesten hell. Wie alle immer lächeln. Wie sie sagen: Das wird schon wieder, & dann reichen sie einem Erklärungen, an die sie glauben, weil sie sonst nichts glauben können, aber ich höre kaum zu. Tanzen will ich. & saufen. Saufen bis ich ertrinke. Ich will laut in meine Einzelteile zerspringen, denk ich, & zupfe am Kragen. Könnte jetzt einer kommen — & die Augen pulsieren — könnte jetzt einer nur zum Schlag ausholen & alles — & die Augen zucken nach links, wo es schon dunkelt, & springen nach rechts — niemand ist hier. Die Gläser sind voll & die Spucke ganz warm im eigenen Mund. Ich wälze mich über das Laken, als rollte ich einen Hügel hinab. Überall: die Finger, & ein Kratzen auf Haut. Das ist es jetzt, das ist das Glück, das wir suchen. Das ist das Leben, das uns bleibt in der Schwärze des Grabs.

2.
Was ist dir, sagt Zoey. Geht’s dir nicht gut? Mir? Ich träume bloß, sag ich, ich seh alles, wie es ist & wie es nicht ist, & das nennen wir Dasein. Ich bin überall, bin jeder, wie Staub bin ich zwischen deinen Lungen & brenne. Okay, ein Kaffee für dich, sagt sie & bindet sich den Bademantel fester & weist mich nach drinnen, wo Joseph sitzt & wartet. Er lächelt. Streichelt mir durchs Haar, das mir in alle Richtungen abstehen will. Er ist komplett betrunken, flüstert sie & stellt die Espressokanne auf die Herdplatte zwischen zwei Töpfe. Ich weiß. Lass den Kaffee stehn, den trinken wir später, sagt Joseph & nimmt mich bei der Hand, zieht mich in sein Zimmer, zu den Einmachgläsern, zu Farbklecksen & Sägespanduft, & schließt die Tür sanft hinter uns beiden. Du brauchst Ruhe, sagt Joseph, & zieht mir den Pullover über den Kopf, & das T-Shirt über die Narben; er öffnet den Gürtel, der klappert wie Kastagnetten & legt mich aufs Bett. Was tust du, frag ich & meine Stimme ist weit oben, bei der Ecke ist sie, ganz weit. Schon gut, sagt sein Hauch mir im Nacken. Ich bin ja da. & ich //

falle.

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