Ich treffe Anatol auf einer Party; er ist Kates Bruder. Groß & trainiert, mit grünen Augen – natürlich treff ich Anatol; ich kann ihm gar nicht aus dem Weg gehn, den ganzen Abend nicht. Im Grunde, da lauf ich ihm nach. An der Bar steh ich wie zufällig neben ihm & unsere Arme liegen auf dem klebrigen Tresen so dicht beieinander, dass es sich so anfühlt als trenne uns eine Klinge, als er dem Kellner das Geld gibt, & sein Arm sich hebt. Auf dem Dancefloor tanzen wir nicht, wir belauern einander; er riecht nach Moschus & Minze, ich nach irgendeinem Sommer-Parfum, das viel zu süß ist für all diese schwitzenden Körper. Unsere Blicke treffen sich wie Bekannte. Dann wie Gewehrkugeln.
Später, im Bett, isst er einen Burger aus der Pappschachtel & ich hab Ketchup am Kinn. Wir lachen beide. Anatol sagt, ich sei nicht hübsch genug, um so selbstbewusst zu sein, & ich sage, er sei nicht intelligent genug, um mir so einen Vorwurf zu machen. Das Licht tut ihm gut, es macht ihn jünger, als er ist. Für seine fast 40 Jahre ist er ziemlich beweglich & gieriger als andere; er nimmt alles ganz, & mehr noch als das. Wie ein Widerhaken ist er, der sich nicht löst aus Knochen & Fleisch.
Er hatte erst einen, dann zwei Vodka mit mir getrunken, dann ungezählte Gin Tonic, die wie Brennspiritus schmeckten. Auf der Toilette – an der Ecke, bei den Waschbecken -, dann der erste Kuss. In der Kabine der erste Blowjob. Mit Romantik hat das nichts zu tun. Romantik definiert sich hier anders. & trotzdem. Das, was geschieht, hier: unter dem roten, flackernden Licht: die Schmatzgeräusche von Mündern, die Finger, die Reißverschlüsse suchen & Knöpfe finden, das Seufzen & Stöhnen – alles davon, ist ein Suchen nach Liebe.
Wie kitschig, sagt Anatol, & wischt sich den Schwanz ab mit einem Papiertaschentuch. Wie aus einem Groschenroman. Das hat doch nichts mit Liebe zu tun. Es ist die Gier des Tieres nach Glückshormonen. Danke, Herr Leistungsfachbiologie, Herr Erstesfachsemestermedizin. Er beißt mir in die Unterlippe & nennt mich ein Miststück; er kann wieder & wieder, er ist nie satt. Er leckt mir die Achseln, & ich muss darüber lachen. Wir spielen die Unschuldigen für eine Nacht & einen halben Tag, & denken uns Namen aus für die Kinder, die wir nie miteinander haben werden.
Heimlich & unbemerkt stiehlt er sich schließlich mittags irgendwann aus dem Bett; ein Zettel neben meinem Kopf auf dem Kissen & Flecken auf dem Laken sind alles, was von ihm bleibt. Ich bin Kates Bruder. Ruf mich an. Daneben eine schiefe Telefonnummer mit bauchigen Zahlen. Ich hab keine Ahnung, wer Kate ist.
dieser text ist irgendwie anders. nicht so stakkatolastig wie sonst. liest sich leichter im bus und in der bahn.