Ich, alleine. Die Eiswürfel im Schwarztee knacken & klackern, die Sleigh Bells brüllen. Was muss man überwinden, um zu gesunden? Sich. Die Vergangenheit? Allenfalls die Gegenwart, die sich endlos ins Gestern schraubt. Aber bitte! Dann muss eines wenigstens bleiben, wenn das alles schlecht sein soll. Stichwort: Uns gehört die Zukunft – nur was will eigentlich Zukunft sein zwischen all den Copy-&-Paste-Variationen? Zurück auf Anfang: Ich, alleine. Die Sonne brennt auf der Haut, sie leckt mich wund; die Sonne frisst sich durch Wolken & Fleisch. Das ist Saturns Gleichmut: hier sind deine Kinder & hier sind sie alle tot. Ich geh im Schatten der Häuser. Jeder Schritt ist eine Aufgabe. Alles heute ist laut & nah, & unglaublich schnell. Was? Ok. Ich muss es dir anders erklären:
Tablette 1, sie macht mich müde & ruhig; sie macht mir die Arme schwer & die Augen weich; sie legt mich zwischen die Kissen & küsst mir die Stirn, gute Nacht, gute Nacht! Aber nichts nachtet, der Tag lastet grell auf meinem Körper, der sich auf dem Bett ausstreckt – wie ein Toter im Sarg: steif & kalt & ohne Leben. Traumlos. Ich sehe dich nicht mehr; deinen Mund, dein karriertes Hemd. Ich schmecke nichts mehr außer Vergangenes, sinke darin ein & tiefer: Klebrig bleibt mir meine Haut & die Stille der Wohnung, die Hitze des Bodens, die Eiswürfel in der Tasse. Klackern, knacken, aufbrechen & schmelzen. Das bin ich. Das ist der Winter.
Tablette 2, sie macht mich wach & aufgedreht; sie scheucht mich durchs Haus mit klatschenden Händen. Geh! Nimm! Die Bilder im Flur reiß ich von den Wänden, haue Nägel ins mürbe Gestein, ich wüte, tobe, irrsinne – von links nach rechts: die Hände in der Wäsche, die Hände beim Kochen, die Hände beim Zerreißen der Briefe. Stets seh ich die Adern geschwollen & dick: sie schlängeln sich vom Herzen über die Brust die Schultern hinauf & die Arme hinab bis sie in meinen Fingern zerfasern. Ich bin der Trommelwirbel meines Herzens. Adrenalin zischt & brodelt, mein Mund ist trocken – ich trinke das Wasser direkt aus dem Hahn. Es ist kalt & schmeckt metallisch, es stillt keinen Durst. Ich trinke & trinke, minutenlang steh ich da & schöpfe mit der hohlen Hand. Es reicht nicht.
Tablette 3, sie schenkt mir Bilder, die sich winden. Wilde Körper. Das Gefühl einstürzender Hochhäuser. Einen Elftenseptember schenkt sie mir, mit Rauch & Lärm & dem zerberstenden Stahl meiner Knochen. Noch immer spür ich den Sturz, noch immer zucken meine Arme im Überwinden der Schwerkraft. Die Erde sucht mit Fäusten nach mir. Sie wühlt sich mir durch die Organe bis sie mich krampfen & schütteln kann, bis sie mich hochstößt & niederreißt, bis sie mich aufstöhnen lässt. Ah! Nein. Ich will nicht fühlen, denk ich. Die Verluste sind — Was? Überwunden. Tablette 4 & 5 werden’s schon richten: sie schmecken bitter, & ziehen mir die Lippen zusammen in die Mitte der Welt. Meine Haut wirft Blasen. Das ist alles nicht so schlimm, nicht? Das ist ganz ok,… Dann kommen die Erinnerungen: ein Handschlag statt einer Umarmung, Wortlosigkeiten, Distanzen in Zentimeterabständen, die sich wie Kilometer anfühlen, & dann? Nichts. Einfach diese Leerstelle. Ich bin das Gerippe der Liebe, denk ich, ich bin ihr stachliger Kern. Es bleibt keine Süße, sondern nur Ausgespucktes. Aber immerhin: etwas bleibt. Eine Erinnerung, dass hier mal etwas war. Dass etwas gelebt hat.
Tablette 6 ist wie Zucker. Sie stößt mich mit Gewalt in die Sonne & macht mich tanzen; die Haare kleben mir noch nass am Kopf, & das Shirt hängt schief an den Schultern, sei’s drum, hier ist die Euphorie. Sie geht als Stromstoß durch alle meine Glieder, & reißt mir mit spitzen Fingern die Augen auf inmitten der Nacht. Siehst du nichts? Nein. Verstehst du nichts? Nein. Was auch verstehen?
Alles ist weiß. & hell, & ganz weit weg vom Eigentlichen. Ich kreise. Ich schreibe Nachrichten, die mit Punkten enden, obwohl’s Fragezeichen sein sollten, & sitze stumm bis eine Antwort kommt, die immer kürzer ist als meine, & weiß nicht & denke nicht, & fühle zu viel. Im Badezimmer welken die Blumen, & die Handtücher riechen zwar nach Weichspüler aber nicht frisch. Draußen ist der Himmel, überall, & drinnen sind die Wände. Das ist der Normalzustand. Wenn es doch nur andersrum wäre!
Morgens, in der S-Bahn, da sitz ich mit einem Gesicht zwischen Menschen, das ganz faltig ist vor Enttäuschung, & sehe verschwommen die Häuser vorüberziehn, & die Menschen, & das ist es also, denk ich, das ist deine Geschichte, die du erzählst, das ist, was dir am Ende bleibt. Ich hab die Türen ja selbst ins Schloss geworfen. Später würden sie sagen, es sei das Alter gewesen, die Zeit, die uns breche, aber in Wahrheit, da ist es die Überfülle des Glücks, die uns überwältigt & dann: das Nichts, wenn es plötzlich einen Schritt zurücktritt vom Fenster, dieses Glück, & nicht mehr raussehen will, ins eigene Leben, sondern sich ein neues Zimmer sucht, einen neuen Ausblick. Eine Alternative. Nur zu sich, da gibt es keine Alternativen, da gibt es nur Abzweigungen, Variablen, Entscheidungen, aber Ich bleibt, was Ich ist. Mit großem I & kleinem Keuchlaut. Eine Annahme von vielen vielleicht, ein Minenschacht. Manchmal: eine Dreiecksbeziehung. & auch ein Wetterleuchten.
Abends, in der U-Bahn, wenn der Tag mir schweißig am Leib klebt & die Augen glänzen vom Sehen, dann schau ich jedem nach, als könne er, als könne sie, als könne jeder retten, was längst verloren ist, & das nennen sie Hoffnung. Ich hoffe viel, immer. Alles ist schwarz, & dunkel & ganz genau in der Mitte der Sehnsucht. Was tun, wenn das Vermissen nicht reicht? Wenn der Körper des X-beliebig-andren faul wird auf der Zunge, & der Sex nicht genug ist, um zu betäuben? Eine Phase — für wie lang? & beim Nächsten dann, da klemmt der Reißverschluss zwischen den Fingern, & die Unterhose sitzt fest auf der Haut, als wär sie angeklebt, & eigentlich will ich nicht, & lasse alles, wo es ist. Ich hab genug gesehen, genug geschmeckt. Ich verschlucke mich am eignen Namen, mir tun die Augen weh vom Angesehenwerden; diese Blicke sind wie Kugeln. Das ist ein Schusswechsel, selbst hier, beim Einkaufen an der Kasse, wenn der Verkäufer beim Geldzurückgeben länger als üblich deine Hand berührt & flüchtig lächelt & nicht tschüss sagt, sondern bis bald & zwinkert & hier: dein Herz, wie es springt, wie es taumelt, & fällt, & auf dem Rückweg nach Hause schneiden sich die Plastikgriffe in beide Handflächen & machen die Finger ganz taub.
Zuhause warten gierige Nachrichten von den Völligfalschen; alles Anfragen von Göttern, die aus ihren Höhen steigen, um sich dir einzuverleiben, um dich mit Haut & Haaren zu verschlingen, & hier: dein Schwanz in der Hose, der hart wird & zuckt & ganz dringend einsinken will in diese Körper, die halb Stein sind, & halb Fleisch, die niemals altern wollen in ihrer lichternden Schönheit, aber auch das vergeht. Der Geschmack von Asche im Mund wäscht sich aus mit der Zeit. & die Augen, die aus den Schatten kommen, gewöhnen sich schon wieder ans Licht.
Zwischen morgens & abends sind die Tabletten & die Wörter, die prasseln & rasseln, die sich verirren & stets glitzern & flimmern bis jemand niest, oder lacht, oder manchmal auch beides, & am nächsten Tag neigt wer den Kopf & weiß nicht mehr, was gestern war, letzte Woche, im Jahr zuvor, als ich noch niemand war, aber glücklich, & das ist überhaupt keine Tragödie. Es ist Teil dieses Lebens, Teil einer Welt, die Knautschzonen braucht, um beim nächsten Aufprall nicht ganz das Gesicht zu verlieren.
Du bist so pessimistisch, sagt Zoey, & legt die Gabel neben den Teller & reicht mir die Ketchupflasche, die so gut wie leer ist außer ein wässriger Rest. Du machst dich selbst unglücklich, & das auch noch grundlos. Ich will mit der Gabel über den Teller kratzen & Lärm schlagen mit den Kochlöffeln im Topf, ich will meine Wut, die mal groß ist, mal klein, aus mir herausnehmen & auf Reisen schicken, in ferne Länder, wo sie gebraucht wird, oder zum Mond, um toben zu können, ohne jemandem ernstlich zu schaden. Ich will jemand ganz anderes sein, sag ich – nicht. Ich blinzle bloß & trinke einen Schluck Cola, die kalt ist, & linse rüber zum Herd, wo es brodelt & kocht. Es riecht nach Basilikum.
Ich bin nicht pessimistisch, sag ich. Es ist nur diese Phase, duweißtschon. Wenn etwas schief wird & krumm & man plötzlich nicht mehr weiß, ob man jemals dort ankommt, wo man eigentlich hinwill. Wenn Leute einem die kalte Schulter zeigen, die einen lieben sollten. Wenn die Treppen zu hoch & zu steil werden & jede Türe zu schmal, also bleibt man draußen & lässt sich vom Himmel berauschen, weil der endlos ist in einer endlichen Welt, & vielleicht ist das sogar Glück, ganz kurz nur, das einem auf den gebrochenen Arm haut zur Begrüßung, oder zum Abschied, & nein, nicht pessimistisch, nicht unglücklich, nicht nur, ich bin ganz blind vor Zuversicht, taub vor Zufriedenheit, keine Ahnung, ich bin vielleicht mal mehr vom Weniger & mal weniger vom Mehr, aber alles in allem, da geht es schon, diese Phase ändert sich ständig & verschiebt sich in was andres, jetzt gib mir die Sauce, du Amateur-Psychologin.