Future you, past me

Für X.

1.
Das Emotionale steht dir nicht, sagst du & reichst mir den Kirschsaft. Ich sitze neben dir, die Füße ineinander geschlungen, ein Knoten die Beine, & schau mir die Bilder an, die du für mich auf Pinterest zusammengestellt hast; der nachdenkliche Bonnat, Charlotte Corday in der Zimmerecke, Dürer mit 22. Meine Lieblingsbilder, sag ich, woher weißt du — Ach komm, sagst du, & sonst nichts. Du lächelst.

2.
Wir hören die Smiths, mein Kopf auf deinem Bauch & über mir: die Decke, weiß & immer-weiß. Licht irrt sirrend übers Parkett, & über uns fliehen die Schatten. Du hast es doch eigentlich ganz schön hier, sagst du, & schiebst mit einer Hand den Buchstapel näher an dich heran. Arendt, Dickens, Plath, Benjamin, Auster. Du blätterst, & ich wünschte, ich könne mich auflösen; jetzt. Könne ganz einfach verschwinden, wie wenn einer das Licht ausmacht in der Küche. Dein Herz unter den Rippen, der Wind in den Vorhängen, ich in mir drin. Auch das ist zu viel.

3.
Wovor hast du eigentlich Angst, fragst du. & ich kann’s dir nicht sagen. Du sitzt neben mir, verschwitzt & nackt, & die Haare zerzaust, & das – ist für immer. Denk ich. Wenn ich nur frei sein könnte vom Denken. Meine Finger hüpfen von Leberfleck zu Leberfleck, ich zeichne Linien, dann Distanzen, irgendwann Grenzen. Wie fremd wir uns sind. Zwei Menschen, die im Supermarkt nach derselben Plastiktüte greifen, könnten sich nicht fremder sein als wir.

Nein. Das ist gelogen.

4.
Wir sehen uns ein Stück an, die eine Hand dicht bei der Hand des andren: das Licht auf der Bühne ist rot, & weiß, & die Schauspieler tanzen; sie sind fast schwerelos. Später stehen wir im Foyer & warten auf jemanden, den du kennst. Er ist groß & hübsch, er lächelt sehr viel. Mir klebt die Zunge am Gaumen vor Gift. Lass uns noch was Trinken gehn, sagst du, & ich? Ich werde ganz träge beim Sprechen. Meine Augen sind müde vom Sehen, sag ich, & meine: Nein. Nur nein, & nicht vielleicht. Geht nur. Ich bin fertig. & so weiter. & so weiter, geh ich, & fühle mich taub.

5.
Future you / Past me. In allem: ein Abschiednehmen. Da krampft sich was zwischen den Organen; es könnte Traurigkeit sein. Zuhause gieße ich mir Tee & Soja-Milch in die Tasse, & schlucke damit die zweite Schmerztablette. Oder die dritte. Ich weiß es nicht mehr. Wenn Fühlen zum Schmerz wird – was läuft dann schief? Meine Haut wird irgendwann kalt, & wattig, & mein Blick sucht sich ein Bett zwischen den Türen.

6.
Du tust so, als sei ich schon weg.
Bist du.
Ich bin hier.
Nein.
Heißt, ich soll jetzt wieder verschwinden?
Nein. Oder. Ja.
Qué te den!
Warte.
__ Nein, Warte hab ich nicht gesagt. Das blieb zurück, blieb auf der Lippe wie Atem. Also raschelt die Jacke, die erst grade zwischen Jacken gehängt worden war, & Schnürsenkel wollen wieder zueinander, wollen Schleifen sein. Qué te den, fick dich. Die Tür, die aufkreischt, weil man sie gegen ihren Willen öffnet, & quietschende Sneakers auf dem Fliesenboden. Das ist das Bild: der Mann, von einem Drinnen ins Draußen; das Licht ist gelb, es riecht nach Regen. Das Laminat ist tannengrün. Warte, warte!, sag es. Nichts kommt. Außer das Schweigen, das sich die Treppe hinunterwirft zu den Füßen auf jeder Stufe, & jede Stufe bringt ihn weiter weg von Händen & Mund, weiter weg von den Augen. Das Licht ist gelb, es ist wie Schwefel. Die Hölle, denk ich, die Hölle, die uns erfriert im Sturm, der draußen wütet – die Windsbraut heult, sie wirft uns hin & her -, & fort: die nächste Tür fällt ins Schloss, & die Kälte kriecht durch alle Wände; sie kriecht mir unter die Haut & tief in die Knochen. Das ist, was die Leute so sagen, nicht? Wenn sie verzweifelt nach Vergleichen suchen. Wenn sie da stehn, in Wahrheit, & nichts sagen. Wenn ihnen das Herz verräterisch immer mehr Blut voller Hormonen durch die Adern jagt. Wenn sie in sich selbst ertrinken. Man solle zählen, sagen sie, man solle atmen. Qué te den. Wie? Wie atmen, wenn man selbst zu Luft werden will. Wenn man zerstäuben & verwirbeln will, endgültig. Nichts als Atome klopfen mir gegen Stirn & Nacken. Noch eine Tablette wird’s schon richten, nicht?, vielleicht hört’s ja dann auf. Natürlich nicht. Warte – nur diesmal -, hier: warte!, wo ist dein Handgelenk? Meine Blicke gehn ziellos, aber sie gehn mit, sie stürzen sich dir entgegen, dir & der Treppe, & ich sage: Warte! & die Finger halten & greifen, & sie lassen nicht los, nur dieses eine Mal nicht, warte, bitte, warte.

Die Antipoden warten nicht.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s