Du sagst, ich müsse konkret werden, mit dir & allem andren auch, den Sachen, die halt zu tun sind, & ich nicke bloß. Ich hab’s schon tausendmal gemacht. Habe Ja zu allen Neins gesagt. So ist es eben, das Erwachsensein. Wie man sich die Brösel vom Hemdkragen schüttelt, so schüttelst du mich – ab. Mich, & jeden meiner Sätze. Jede Hoffnung. Nur wohin, eigentlich? Ruhig sein soll ich, nicht wieder maßlos mit allem übertreiben; nicht hinter all den vielen Kleinigkeiten den Tod sehen, das Ende aller Liebe – ich soll akzeptieren, sag es, das viele kleine Sterben – ich soll nicht heulen, nicht schreien, soll nicht zerschlagen, was ich hier ganz in beiden Händen halte. Klar kommen soll ich. Vergessen, wie es ist, & wie es war, soll es zur Geschichte machen, was grade jetzt geschieht. Den Wind, der durch die Bäume fährt, & mit einem Hauch das Fenster schließt. Meine Füße, Zehen, meine Haut auf dem Parkett, das ganz zerfurcht ist von den Jahren. Die Briefe in der Schachtel, das Sehnen, das zwischen all den Worten ist. Ich, wie ich bin, als ich jünger war. Das soll fort, sag’s. & jedes Alter schiebt sich unter beide meine Lider, in die Augen, die tief sind & ohne eine Grenze, & da soll es sein, ka-tusch, ka-tusch, hier soll alle Traurigkeit, alle Enttäuschung hin – hier sollen all jene ein Zuhause finden, die nicht geblieben sind. Jedes Mal, wenn ein Herz zerbricht, sollen hier die Scherben rein. Das ist, was du willst. Wie mir von dir das Hemd zu eng wird am Hals, die Ärmel, die sich mir in die Haut schneiden an beiden Armen, zu eng, dein ganzes Leben, ich muss es aufreißen, mitten in deinem letzten Satz, der endlos ist, & endlos war, & nirgends hinführt, weil ich längst nicht mehr zuhörn kann; über all diese vergebenen Chancen redest du, über die Türen, die ins Schloss fielen zum Kummer, über den Fuckup von heute, von gestern & morgen, über die Wichser in der S-Bahn, & die Idioten in der Bank – das bin nicht ich, denn ich, ka-tusch, denn ich, ka-tusch, will nicht vergessen.
Die Nacht, als weiße Motten gegen weiße Lampen stoßen…, als der Himmel über uns türkis wird, & makellos, & die Kubanerin lachend die Zigarette aus der Schachtel zieht…, hier sitzen wir, auf Steinen, so alt wie die Welt, & unter uns: die rauschenden Weinrebenblätter, & der Mond, ganz hell & weit in der Ferne…, & deine Hand ist mein Mond, & deine Augen…, & wir sind wie Licht auf den Straßen, & rennen – zu Zügen, die wir verpassen, zu Menschen, die uns enttäuschen -, & wir rennen, endlos durch den Rausch, der uns bleibt, & zum Glück hin, das so hell ist, dass es uns blendet – hier essen wir & lachen, lachen so viel, dass wir weinen – wir lachen über uns wie wir werden, & sind & waren, & über jede Angst, die zu uns ins Bett schleicht & nicht schweigen will… Wir lachen über das Meer, das uns Hosen & Schuhe bleicht, nur mein rotes Gesicht, das lässt es rot…, fiebernd reden wir, nachts & tags & zwischen den Stunden, siehst du?, wir sind das Leben…, & wir sitzen in der Sturmhöhe quer über den Wolken & lesen uns aufregt die letzten Zeilen dieses Buchs vor…, & steigen die Treppen hoch, an einem dieser letzten Tage, & sehen über ganz Berlin, sehn hier die ganze Stadt, während der Himmel rot wird, & auch orange, & im Hintergrund poppen die Bierflaschen auf…, Sommer & Winter, die sich drehn – ka – die sich drehn – tusch -, was nur fühlen, sag’s, was nur verkraften? Einen Morgen im Ostbahnhof, zusammengerollt auf dem Boden vor einem Buchladen, weil es schon wieder der letzte Zug war, der ohne einen fuhr. Die Hand, die eine andre findet, hält, verschwitzt & klebrig, loslässt & dann ewig sucht. Die gelbe Blume im Haar. Die Kaffeetasse auf der Tischkante. Türen, die ich abmesse, & Türen, an deren Rahmen ich mich stoße. Ich, in niedrigen, engen Räumen, & ich, in Hallen. Auf Treppenstufen steh ich & sehe Freunde sich küssen, die Liebe seh ich, wie sie einander in die Arme fällt, wie sie daneben stürzt, wie sie aufsteht & erneut sich findet. Ich seh es dunkeln & brechen, seh die Nacht zwischen den Laken – wenn eine Mutter fast stirbt, & das Herz eines Vaters stoppt; wenn sich die Liebe entzweit mit einem Krachen, das selbst noch die zwei entferntesten Städte im selben Moment zu erschüttern vermag – da ist eine, die weint & weint, die nimmt das graue Haar auf von den Kissen & steckt sich’s zwischen die eigenen Strähnen – damit er nicht ganz verloren geht, ja?, damit etwas bleibt von ihm, & ich, ich trinke eine heiße Schokolade, die so fest ist, dass ich sie kaum umrühren kann – zu Hause dann, da rutsch ich die Tür entlang bis auf den Boden, & weine, weine um den Bruder, der ging. Konkret sein soll ich? Was weißt du schon vom Konkretsein? Wenn du aufstehen willst, aber die Beine verkrampfen? & die Hände sind rauh & aufgesprungen von der Kälte im Raum? Das hier, das ist konkret. Das ist alles, das bleibt. Beim Pizzaessen, wenn wir von der Traurigkeit sprechen, alleine zu sein. Als sich eine den Fuß aufschneidet & alles Blut nicht reicht, damit ich sie trage. Beim Zelten, als die Nacht lau ist & die Boxershorts nass zwischen den Beinen. Als ein nagelneuer Grill im Wasser versinkt. Das – ka-tusch – ist Leben. Es passiert. Wahllos & willkürlich, es geschieht manchmal im Zorn. Seine Narben am Kopf, & die Schwere von Schlaf & Ewigkeit in allen Gliedern…, ein Reifen, der vom Unterboden abfällt, als falle ein welkes Blatt zwischen Laub…, einer, den ich treffe, & einer, den ich verliere, & immer: ein Feuerwerk über den Dächern, immer: ein Umarmen, & Reden – tags & nachts & zwischen den Stunden, hörst du?, wir sind das Leben…, wir gehn der Farbe nach auf den Gehwegen, & dem Lärm in den Tunneln, wir jubeln, jubeln so laut bis unsre Stimmen versagen, & jubeln noch mehr – ich gehe auf Zehenspitzen durch die Scherben zum Bett & lege mich zu ihm, der sagt: halt mich, ich brauch Haut…, & ich nehme den gerollten 10-Euro-Schein zwischen die Finger… & ich bin im Rot & im Weiß, & im Blau bin ich auch, mit endlosen Augen, den Mund voller Blödsinn, & dreh mich zwischen Bass & Sirenengeheul, & ich bin hier, nur hier, & überall, beim Basilikum in der Küche, bei ihr, die ihren Finger in das Plastikschälchen mit Honig dippt, & bei ihm, der Nina Simone auflegt, als die Luft schwer ist vom drohenden Sturm, beim Wasser, beim Wind, & tief unter der Erde – ich bin in den Zügen, den Büchern, den umgeworfenen Blumenkübeln an der Ecke; ich bin im Lärmen & der Sonne über der Spree, in allem – verstehst du’s denn nicht? Nein. Fühlst du’s denn nicht? Nein.
Das ist, was ich sehe, das, was halt geschieht: mehr & immer mehr kommt da nach, & rauscht, & jederzeit fließt es durch mich hindurch, im Träumen & Wachen, immer – ka-tusch – solange mein Herz schlägt – ka-tusch – solange ich atme & denke – ka-tusch -, solange ich fühle – ka-tusch -, denn – das – ist – alles.