Gustav

Der Bus, die Straße, & ein Zittern in der Haltestange & zwischen den Rippen: das ist die eine Bodenschwellensekunde zwischen zu Hause & der Fremde. Neben mir stehen Männer mit Koffern & Frauen mit kleinen Täschchen, die sie mir in den Rücken drücken, als stünde ich ihnen im Weg, dabei ist da ganz viel Raum zwischen ihren Schuhen & meinen; ich hab keine Ahnung, wie sie das schaffen. Draußen hüpfen Alleen & Wege. Schwaches Leuchtschriftflimmern an den Fassaden; Stühle vor Cafés mit Menschen drauf, die zerknirscht schauen, weil es zwar schön ist in der Sonne, aber doch sehr laut so direkt an der Straße; Bettlerkinder & viele Hunde; das ist der Rest deines Lebens.

Mir ist heiß, die Lederjacke wiegt schwer – bei jeder Kurve fühl ich sie an meiner Haut zerren, als wolle sie mir jemand ausziehen -, & doch will es jetzt überhaupt nicht tragisch sein, nichts davon; das hier, das ist irgendwie sogar ganz okay, eigentlich. Es ist zwischen oben & unten das in der Mitte. Ein Übergang, wie die Stelle zwischen zwei Treppenaufgängen. Ich stehe & der Bus ruckt vor, schiebt & wälzt sich, zuckelt, hält. Mit der Menge dräng ich nach draußen, & der Himmel ist ganz hell & blau, am Horizont ein bisschen rot, & ich will glücklich sein, denk ich, wieder & wieder – auch dann noch, als der Wind, der fern von den Gleisen kommt & über die Brücke springt, so als hebe einer den Fuß für ein Hindernis am Boden, mir mit beiden Händen ins Haar greift, & glühend in die Augen; nur glücklich sein. Für eine Weile. Woanders sein, überall, eine Hand voll Sand, die wer ins Meer schmeißt, die sich zu den Wellen aufwirft & verwirbelt, in die Tiefe sinkt & zum Grund wird, zum allerletzten…

Ich geh über die erste Spur, dann über die zweite, & die Autofahrer wirken traurig, da hinter ihren Lenkrädern, da in ihrem Metall & Plastik, in ihrem Gefängnis aus Öl, & ich schau ihnen direkt ins Gesicht; sehe einen Mann mit Schnurrbart & Brille; eine Frau, die grade hinter sich & zwischen den Sitzen hindurch nach etwas greift, das auf dem Boden liegen mag; alle sehen so verloren aus. Der Busfahrer hupt, als ich ihm vor die Kühlerhaube laufe, & die Leute im Bus drängen alle ans Fenster mit ihren Blicken. Vielleicht, um zu verstehen, weshalb der Bus so plötzlich abbremsen musste. Vielleicht auch einfach nur so. Ich bin ein Teil hiervon, denk ich, & meine die Pappbecher, die über den Gehweg rollen, die Plastiktüten, die wirbelnd, kreiselnd tanzen, Hunde an Leinen, & ein letzter Streifen Sonnenlicht zwischen den Häuserfluchten. Wie fassen wir uns, & wie das Bisschen Glück, das wir haben?

Zuhause bin ich durstig; ich schenke mir ständig neues Wasser ins viel zu kleine Glas & trinke bis ich die hohe, schmale Flasche bald wieder am Hahn nachfüllen muss. Ich öffne die Fenster, als die Nacht hereinbricht, & begrüße sie müde. Aufs Regal stell ich die Einladungskarte zur Hochzeit meines Bruders, sodass ich sie von überall gleich gut sehen kann, & lächle. Ich nehme den Gatsby, den ich im Bett lese – das Buch auf den nackten Knien, die Hand um jede Seite bemüht -, & fühle mich wattig im Kopf, schwer in den Beinen, fern. Ich denke an Orpheus & seine Schwester, an Zoey & Joseph, an den Herzensbrecher & Ikarus, an Anna Analia, & das Chaosmädchen; da ist ganz viel Paris hinter meinen Augen, ein Tag im März, eine Nacht im August; alles vergoldet sich unter mir, hinter meinen nachtschweren Lippen, in meinem Pingpong-Mund. Mehr kann ich nicht verlangen. Denk ich. & meine all dieses viele Leben, das mich durchströmt; dieses viele, viele Leben.

& das, endlich, ist Glück.

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