Les Passavants

1.
Die Musik ist nicht laut genug, sag ich, & Xabi lächelt. Ich mein es allerdings ernst & drehe die Stereophonics lauter; ich drehe bis zum Maximum. Niemand nimmt das noch wirklich wahr. Ich höre Fenster vibrieren, irgendwo wackelt Holz auf Holz. Die Gitarrenriffs sind grell, die Schlagzeugbeats viszeral – eine Worthülsen-Klette nach der andren bleibt mir am Maul hängen, denk ich, & zupfe mir tote Haut von den Lippen. Xabi lächelt, noch. Er weiß nicht, was mir durch den Kopf geht, er sieht nicht die gleichen Bilder. Die Eiswürfel knacken, ich höre es deutlich durch den Lärm. Fast verschütte ich den Drink, weil ich tanzen muss, & Tanzen mit was in der Hand war noch nie ne gute Idee. Ich schlingere durch zwei Menschenreihen, werde vorangestoßen; streife einen Rücken & einen Bauch, streife zwei Arme. Jemand atmet mir feuchtwarmen Rauch ins Gesicht & lacht darüber, während mir die Augen tränen. You got opinions but you ain’t got news*. Ein Mann hält mich im Vorübergehen am Arm fest; sein Gesicht ist stets in Bewegung. Er grinst ein Mundwinkelgrinsen, er nickt, er zwinkert; er legt mir eine Hand auf die Schulter & eine Hand auf die Hüfte; er sagt: Na? Wer ist der Kleine da bei dir?, sagt: Ich bin der Björn, sagt: Habt ihr Lust auf nen Dreier? Die Musik ist nicht laut genug, sag ich, & schütte mir den Drink in den Mund, als könne er mir die Worte reinwaschen, als filtere er jeden Satz zu Wahrheit & Notwendigkeiten. Als mache er mich zum Gott unter Toten. Ist es Gin? Whiskey? Ich erinnere mich nicht mehr, wer mir das Glas vollgeschenkt hat, erinnere mich nicht mehr daran, das wie vielte Glas es überhaupt ist. Björn sieht mich an, als müsse er nur den richtigen Preis nennen, damit ich einknicke. Ich suche Falten & graues Haar, einen weichen Bauch, der ihm über den Hosenbund steht, Pickel. Ich finde nichts von allem, was ich suche. Sein Mund ist sinnlich, die Zähne weiß & klein. You wear a mask wear an armoured suit*. Die Blonde mit dem krausen Löwinnenhaar drückt sich plötzlich zwischen mich & den andren, stößt ihr Glas gegen meines – die Eiswürfel klackern -, & sagt: Pass auf, der fickt wie ein Pferd, & kichert; sie wackelt mit den Hüften zur Musik, geht weiter. Das ist es also, was bleibt am Ende der Stunden – das ist der Schweiß von zehntausend Jahren Geschichte, das ist der Höhepunkt der Zeit. Wenn alle lachen, stirbt sich’s einsam. Aber wenn alle sterben, dann haben sie wenigstens einen Grund zum Lachen. Estás bien? Xabi, seine Stimme, die weich ist & tief, die das R rollt & das E dehnt. Er lächelt nicht mehr; er ist besorgt. Die Sorge atmen sie aus, denk ich, sie verändern die Haltung & verschieben den Blick; Mitleid nennen sie’s. Eine Intervention. Als wüssten sie, was besser ist; als hätten sie ein Mittel gefunden, nicht mehr denken sehen hören zu müssen. Ich starre abwesend in mein leeres Glas, lasse das Eis rotieren. Björn hier will uns, sag ich, & grinse. Ah, sí? Er fickt wie ein Pferd, sag ich. Qué? Ich will die Hand nach ihm ausstrecken, aber das Glas hält mich fest; ich kann mich nicht bewegen. You gotta mouth but you ain’t got guts*. Nichts, sag ich, & gehe weiter durch Licht. Alles ist weiß & rot & schwarz, alles wirbelt. Wohin gehst du, sagt wer, & ich sehe keinen Körper.

2.
Xabis Zimmer ist leer bis auf die Matratze & zwei Bücher. Ich sitze auf dem Fenstersims, sehe raus. Es ist plötzlich still. So still, dass es wehtut. Draußen ist niemand, die Straße ist verlassen – um diese Uhrzeit schlafen die einen & die anderen jagen einander. Ist alles ok? Ja… ja, sagt der Mund. Ich bin bloß müde. Demasiado cansado? Ich drehe mich um, & seh ihn in der Tür. Die Augen sehen: Mann. Sehen: Haut. Sehen: Verlangen. Er hat die Statur eines Schwimmers – seine Brust ist breit, & haarig, sein Bauch flach mit zwei kleinen weißen Narben auf Höhe des Nabels. Seine Hüfte ist schmal. Er grinst. Ich find dich toll, sagt er. Ich sage nichts. Denke: Sein Schwanz biegt sich nach links. Denke: Sein Schwanz. Denke: Sex. Ich sollte nicht denken. Wir gehen aufeinander zu wie zwei entgleiste Züge, wir verhaken & verheddern uns, gehen ineinander über wie schmelzende Metalle. Alles, was früher schwer war, ist jetzt Fundament. Wir liegen auf unseren Ängsten. Wir sprechen nicht. Wir heben nicht den Blick. Eine Hand auf dem Herzen, & das Herz tobt; es stolpert & fällt, es bricht sich die Beine beim nächsten Sprung, & rennt trotzdem, rennt weiter. Auch unter Schmerzen. Wir küssen uns, zerschießen uns die Münder mit unseren ungesagten Sätzen, unseren unbenutzten Wörtern. Wir füllen Körper in Leerstellen, die uns ganz machen sollen; wir geben nach, erschöpfen einander, trennen uns. Wir finden neue Haut. Mit dem Kopf auf der Matratzenkante lese ich zufällig einen der Buchtitel, L’Étranger, & erkenne Camus. Er trägt den Mantelkragen hochgeschlagen, eine fast zerrauchte Zigarette im linken Mundwinkel. Avoir des États d’âme, sag ich & Xabi schaut auf, der Mund feucht, die Augen weit. Qué? Ich weiß nicht, sag ich. Mir ging nur was durch den Kopf. Was Gutes? Vielleicht. Ich weiß nicht, vermutlich schon.

*Stereophonics – Superman

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