Die Liebe, überleg ich, die Liebe, die mir in zu großen Schuhen durch mein Leben geht, die mir durchgeht wie Fahrtwind, wie ein Biss in die Nase & ein Schlag in den Bauch – diese Liebe macht mich zum schlechteren Menschen, sie macht mich lustlos & faul, sie macht mich träge. Morgens & abends, wenn die Wolken ganz hell sind vom Sehnsuchten, & die Türklinken kalt von der Nacht, da sitz ich vor den Buchstaben, da sitz ich vor J. & A., da sitz ich vor M., wieder vor A. & I., ich sitze vor S., & denke: Jamais, jamais, jetzt räumst du mal auf. Dem Staub geh ich nach & schüttle Kissen & Decken, die ganze Welt schüttle ich aus, nur der alte Mensch, der Geliebte zwischen zwei Sprachen, der bleibt bei Matratze & Boden, der liegt da unter dem Bett wie ein Monster & giert nach den Träumen. Ich hingegen, ich träume kaum, & wenn, dann schlafe ich schlecht. Was soll’s. Die Realität ist gut genug für mich.
Mit Zoey sitz ich am Tisch, der ganz wund ist von Spülmittelfingern & alten Kuchengabeln aus Zink, & schaue raus, wo Wolken sind, Vögel. Der Atem fällt mir aus dem Mund wie Beton, & löst sich in der Ferne zu Blau. Du bist bipolar, na &?, sagt sie, & schiebt sich die Ärmel des Pullovers über die Handgelenke zurück. Du bist bisexuell, na &?, sagt sie, & greift nach der roten Kanne auf dem Tisch, dessen Kanten ganz weich sind vom Anstoßen & Abstoßen, müde von der Schwere der Eichen. Sie gießt sich ganz vorsichtig Tee ein; sie berührt kaum den Tassenrand. Die Kanne schwebt, hebt sich, senkt sich, steht. Nein, sag ich, an beiden Polen bin ich der dritte, in der Mitte lieg ich, ein Handschuh mitten auf der Straße, eine verlorene Mütze auf dem Sitz in der Bahn. Ich gehe als Hustenreiz durch überheizte Räume, als steife Finger über Drei-Punkte-Nachrichten – mein Auge zuckt dabei, als wollte es sich schließen. Aber sehen muss ich, jeden Tag, & jeden Tag schaut wer zurück.
Was? Ich wache auf. Zoey ist weg. Es ist Samstag. Ich sehe Joseph. Sein Bart ist kupfern, seine Augen lächeln hell. Er steht in der Küche & hackt Petersilie. Wie schön, denk ich, & reibe mir das pulsierende Auge. Du brauchst mal ne Pause, sagt er, & reicht mir eine Schale mit Tomaten; sie sind so rot, wie ich mich fühle. Von Innen steht die ganze Welt in Flammen, aber ich friere jetzt. Ein Punkt in der Ferne nimmt sich heraus, ein Mond zu sein, Sterne. & meine Adern sind ganz schmal vor Scham. Ich schneide Gurken, ich wasche Salatblätter, als wasche ich fremden Menschen den Kopf – vorsichtig, behutsam, mit spitzen Fingern. Ich fühle mich verloren, sag ich, & Joseph lacht. Die ganze Küche dröhnt von seinem Gelächter. Wer nicht? Wer? Ich weiß nicht. Sie nennen mich bei einem Namen, der mir jedes Jahr fremder klingt in den eigenen Ohren. Schon wieder eine Krise also, sagt Joseph, & legt die Schürze über den Stuhl, & tritt ins Licht, das bei ihm so aussieht, als könne es wärmen, & nimmt mir das Messer aus der Hand. Nein. Mir geht’s gut, ohne Scheiß, sag ich. Du brauchst nicht so tun, als wär ich suizidgefährdet. Ich bin kein Werther. Der Liebe wegen bring doch ich mich nicht um, sag ich, & lache & lächle & beiß mir auf die Unterlippe & zeige Zähne; knurren möcht ich vor Lachen. Stattdessen kommt Joseph näher. Er riecht nach Leder & Tabak, nach Holz.
Später sitz ich im Dreieck von Stühlen, & sitze aus, was die anderen sagen. Wen sie anschauen, weiß ich nicht. Ich seh ins Zimmer, der Sessel in grau, die Wand mit den Postern, das Bett direkt darunter; ich sortiere die Briefe mit Blicken, staple Bücher. An meiner Tür seh ich das Badezimmer, das gradeaus führt zum Licht, & rechts daneben: die Küche mit all ihren Gewürzen, dem weißen Tisch, der Kommode von der Vormieterin, die längst zurückgesunken ist in uralte Mythen; ich erinnere mich nicht mehr ihres Namens, ihres Gesichts. Fünf Jahre ist das jetzt her.
Mit Blicken versuch ich die Geographie der Wohnung zu verstehen, die Vergangenheit dieser Dielen, dieser weggeschlagenen Kanten; ich sehe Löcher, wo früher Bilder hingen; schwarze Flecken an Wänden, wo der Staubsauger stets dagegen schlug; ich sehe eine Frau Mitte 20 in der Küche stehen & kochen, während meine Hände im Flur die Wäsche falten; einen Jungen seh ich, wie er Kisten von einem Zimmer ins andere stellt, als Geist in allen Kammern; Weingläser hör ich aneinander stoßen, & auf spitzen Kanten laut zerbrechen; ein Lachen hör ich, & ruheloses Weinen; die Flügel der Motten. Ich rieche frischen Basilikum auf dem Fensterbrett, & schmecke roten Kirschen nach; Leben & Leben, ein endloses Sichverzahnen – die Türen im Schloss, die aufgehen & geöffnet bleiben; dahinter: Körper & Kleidung, ein quietschender Schrank. Der Franzose am Fenster, lachend. & die Neuseeländerin mitten in der Nacht, wie sie Cookies backt. Fülle & Überfülle, mehrere Tage voller Streitsucht & Schweigen; die Stimmen im Flur, wie sie rufen & flüstern – wie sie gehn.
In zwei Jahren, denk ich, da bin ich 30 – & was hab ich geschafft, was hab ich getan? Relationen. Wahlverwandtschaften. Zwei Jahre Hunger, zwei Jahre Stress, ein Jahr lang die Liebe & der Kampf um einen Sitzplatz in einer überfüllten Stadt. Das Telefonbuch geh ich durch mit trockenen Fingern: hier – Freunde, Freunde, die besten, die ein Mann haben kann. & Herzwehmenschen, die einem mitten in der Nacht Bilder von sich schicken; allein, mit gierigen Augen – die leere Stelle im Bett bereit für meine schwere Haut, meine Vogelknochen. Abgebrochene Enden, Chaos. Ich sehe die Unordnung in der Wohnung, den Dreck in der Küche, die abgerissenen Stoffe, Staub. Einen verlorenen Hosenknopf. Mit welcher Unwissenheit man sich segnet, mit welcher Blindheit. Das Zucken im Auge, Lucias Fluch. Ich gehe lichternd durch verpasste Termine & Weihnachtskarten, durch Briefe, die ich nie abgeschickt habe – was? Nur ein Leben, nur eins, sagen Josephs Lippen & Zoeys Haar, sagt das aufgeschlagene Buch. Diese Wohnung, denk ich & seh die Klinken & das Parkett, sehe die Farbspritzer an der Tür, die weißen Vorhänge – die Wege seh ich, die wir gingen, die gelben Blumen auf dem Sims, die verbogenen Gabeln. Menschen, hingehaucht wie Luft, Menschen wie Steine, kollernd & polternd: Alle diese Heiligen, Könige, Götter – ihre rastlosen Augen, säuselnd & schreiend die Stimmen, mir ihre Geborgenheit borgend, & ihre Gleichgültigkeit lassend: Huren, Bettler, Kinder -, die Treppen nach unten & die Treppen hinauf: ein Gehen & Gehen, ein Nichtankommenkönnen.
Du musst selbst für Ruhe sorgen, sagt Joseph. Du musst aufräumen, sortieren, du darfst nicht jeden Tag darauf warten, dass etwas passiert. Ach?, sag ich, das sind ja echte Neuigkeiten. Ich dachte, alles könne einfach so von selbst passieren. Du verstehst nicht, sagt er. Du trägst jeden Tag weiter deine Steine diesen Berg hinauf, schau hier, sagt er & zeigt auf den Stapel Papiere. Der liegt da schon seit 3 Jahren. Wird es nicht mal langsam Zeit, den durchzuarbeiten? Zu entsorgen? Überall in dieser Wohnung liegt Zeug, alles staubt ein. & du wunderst dich? Wundern?, sag ich. Nein, natürlich nicht. Alles andere war ja immer wichtiger als das. Wenn es nicht wichtig war, warum hälst du dann so verbissen daran fest? Vermutlich, sag ich, weil es Halt bedeutet. Ja, sagt er & grinst. Toller Halt. Hat prima funktioniert. Du wirkst so, als hättest du dich einfach nur in deiner eigenen Wohnung verlaufen. Nicht in der Wohnung, sag ich. In meinem Leben. Sei nicht so theatralisch, sagt Joseph & reicht mir die Zwiebeln.