Ischariot

Im Sog der Nacht gefällt er sich, im Lachen & Trinken, im lautesten Reden; so zieht er sich das Hemd aus unter den Sternen, & erklärt sich zum Gott. Später, da erzählt ihm ein Junge von der Liebe, die nicht wieder kommt, die alle Türen ins Schloss haut & nicht bereut; eine Liebe, die unverbraucht durch die einsamsten Nächte eilt; ein Kaffee zwischen zwei Räumen; ein Stück weit Unabhängigkeit im Nehmen der Stufen. Ein ewiges Fallen. Er geht durch Berlin wie ein Exilant, einer, der die Trommel schlägt mit den eigenen Händen & nicht ablässt vom Dunkeln der Augen. Einer, der steht vor den Türen & wartet, der nimmt sich das Gesicht zu Herzen & grollt; dem geht der ganze Himmel zu Bruch. Ein Sturm ist in jedem seiner Worte. Eine Überlegenheit im Vergessen aller Abstände. Was deine Hand nur anzurichten weiß. Dein Arm. Die Welt ist ihm nicht laut genug, also ruft er seinen eigenen Namen – immer wieder & wieder, so will es der Brauch. Bis einer kommt, der ist halb Monster, halb Nacht, der hat ein Gesicht wie ein Holzkeil & nennt das Gewissheit; mit seinen wirren braunen Haaren sieht er nicht aus, wie der Geliebte, der er sein könnte, sondern wie ein Schlaftrunkener, einer, der das Aufstehen gelernt hat & nicht weiß, was nach dem Liegen noch kommt – morgens um zehn, so geht er zu ihm hin, in die Umarmung, & Fleisch, das Fleisch sein will, ist bloß Gebrauch. Alle brauchen sich auf unter seinen Blicken, unter seinen Händen zergeht noch ein jeder zu bloßem Geseufz, & merkst du’s, die Halsschlagader will einem überlaufen vor lauter Bedürfnissen. Stattdessen wahrt er den Anschein, hält sich die Versprechen nah & das Vergessen noch näher; er erklärt alles andere zum Opfer der Sitte. Nackt & mit dem brennenden Kuss im Nacken geht er durch die Straßen, hält jeden an, der ihm entgegen kommt & fragt nach den Träumen; keiner träumt seiner. Hoffnungslos ist er verloren zwischen all diesen Menschen. Nur weiß er’s nicht. Mit einer Maske aus Zugeständnissen sagt er Ja, & sagt er Nein, & im Wiegen der Hüften schaut ihm doch wieder keiner zu, wie er den Takt hält beim Laufen.

Immer & immer, so geht er der Nacht nach durch alle Stunden. Judas, so nennt er sich, Ischariot, ein Weiser des Verrats & der Lüge – so tanzt er zwischen den Körpern – so, als fiele ein Buchstapel um aus Versehen -, & was ihm die Luft ist zum Atmen, das ist den andren nichts als ein heiseres Husten. Geil ist er vom Werden, vom Vergessen hat er noch den schalen Nachgeschmack aller Vergleiche. Komm, sagt er. Komm zu mir im Morgengrauen & gib mir, wonach ich verlange. Er schüttelt sich das Kissen zurecht. Er holt sich den Sex ins Haus, wie einen Freund. Er lädt ihn zu sich, den Fremden, den Moment der Leidenschaft; er kann’s nicht anders bemessen. Sie haben flüchtigen Spaß, nennen einander Namen, die sie am nächsten Tag schon wieder vergessen; sie begehren einander, wie Flüchtlinge es tun inmitten der Stunden. Da wippt sein Fuß noch, da tanzt seine Hand. Einen ganzen Menschen nimmt er sich zur Brust & stöhnt ihm Hoffnungen ins Gesicht; er nennt es noch nicht mal Liebe. Weder flüchtig, noch rein. Es ist einfach nur ein Zustand, den er sucht, eine Art der Vergebung. Alles andere ist ihm nur Lüge.

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