Sich überlagern. Sich, die Stimme. Das Herz.
Höhe mal Breite, & alles durch zwei.
Mein Herzschlag ist schwer, wie Regen so dunkel.
Hals über Kopf, & Beine zwischen Beinen: an der Kante zur Kälte leben wir & schwitzen.
Wessen Liebe ist lauter, wessen Berühren geliehen?
Jemand sagt, ich defragmentiere mein Leben. Ich esse dabei Oliven aus der Konserve, & nicke (vielleicht). Oder auch nicht, denk ich. Was ich da mache (oder denke), weiß ich nicht. Die Plastikgabel zwischen den Fingern fühlt sich fremd an, das Metall, die Oliven auf der Zunge. Es beginnt mit den kleinen Dingen. Allein das Aufstehen jeden Morgen ist anders, ungewohnt. Mal liegt S. neben mir, mal nicht. & die Hände streicheln Stoff & Haut; sie kennen keinen Unterschied. (Aber Sehnsucht, die schon). Am Tag zuvor geh ich durch die Neue Nationalgalerie – Richter, immer Richter: Die Leute sind konstant zwei Finger weit weg – an den fremden Schuhen stehen sie näher dran als an den eigenen -, & murren viel, weil sich wieder wer vor die zwei Löwen mit Tourist stellt. Einer, der nicht sieht, dass andre sehen wollen. Eine Tragödie. Ich gehe stattdessen durch alle Farben, atomisiere. Am Abend dann liege ich unter Goethes Portrait & küsse S., atemlos.
In den Rausch vieler Abende fall ich, vergolde meine Augen & Zähne, ich strahle willenlos, mein ganzes Glück schütt ich aus über den Menschen. Die wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Da leg ich einem die Hand auf die Schulter beim Reden, dem anderen seh ich beim Trinken & Lachen zu, & denke: Wie schön du bist, wenn du dich fortgibst. Ich denke lauter, klarer, ich denke Gedanken, wie ich sie früher einmal denken wollte, nur das Tun & Machen, das fällt mir schwer, das geht mir nicht mehr von der Hand. Ich sitze oft ratlos da, redend, aber worüber noch?, weswegen – eigentlich? Was in meinem Kopf geschieht, ist bunt & ziellos, es geht in alle Richtungen zugleich. Gestern noch war ich bei Richter, davor bei Max Frisch, ich habe nie ein Buch von ihm gelesen, aber ich weiß jetzt, wie er geschrieben hat – immer mit zwei Fingern auf einer Schreibmaschine -, verdammt, die hätt ich gern. Nur sein Schreiben nicht, das muss ich nicht haben; seine Art & Weise, sein Pausieren & Fortführen. Sein Wollen allenfalls, sein Müssen: Ich würde gerne schreiben müssen, wie er. Ritualisieren. Mich wieder erinnern, dass ich tatsächlich so einer bin, einer, der mehr zu bieten hat als die Erzählungen über das Schreiben, als Essays, & ein Wettbewerbsbeitrag. Dass ich Ziele habe, Ideen, dass mein Leben mehr ist als nur ein Zustand, als eine Sache, die eben gerade so geschieht. In der Küche kocht Kaffee, & ich fühle es nicht. Das ist Liebe. Denk ich – erschrocken, natürlich: Ich erschrecke der Liebe wegen, die in mein Haus kommt wie ein milder Frühlingstag. Darauf bin ich nicht vorbereitet, sag ich zu Zoey, die mir den Teller gibt, das Messer, die Erinnerung an einen Mann, der Frauen küsste, als könnten sie ihn vorm Sterben retten. Jetzt küsse ich S., & sterbe.
Zweitens.
Wir schlafen nicht, wir gähnen stattdessen. Wir hauchen uns Begehren & Staub auf Lippen & Lid. Unsere Zungen lösen sich nicht. Das ist der Wahn, denk ich, & schäle fremde Haut von fremden Leinen. Wer ist es, der fühlt, wer löscht als letzter das Licht? Mir steckt die Nacht im Leib; sie tobt mir in Augen & Mund, ich atme sie, esse & verdaue sie, ich breche sie aus mit jedem Wort. Seelenlos geh ich durch die Straßen, nachts, wenn die Küsse kalt auf seiner Haut verlöschen, & die Schatten zu Gebeinen werden, zu Muskeln & Haar. Es ist ganz still dann, es gibt kein Echo mehr. Die Wahrheit liegt in der Unerträglichkeit des Wartens: Ich warte eines Lebens, das nicht kommen will. Also gebe ich mich hin. Lasse mich verschlingen. Keine Zeit für Erklärungen, keine Zeit, nur Müdigkeit, keine Unterbrechungen, keine Pausen, weiter brennen. Draußen toben Sonnenstürme, drinnen auch; alles ist Schwindel, Ohnmacht, ein Versuch, sich festzuhalten. Irgendwem klingeln die Ohren. Das kriegt keine Hand zu fassen, nur einzelne Finger. Wir umklammern einander wie Ertrinkende, pressen Verzweiflung an Verzweiflung & nennen es Sex; wie zwei Zahnräder, die sich unlöslich ineinander verkeilen, so toben & wälzen wir uns über zu schmale Betten. Unser Schweiß ist wie Nektar & Gift, wir kontaminieren einander, & bekommen doch nicht genug. Ich will nichts anderes, als liegen. Schlafen. Sterben. Ich träume nicht. Esse kaum. Ich lese nicht, sondern picke einzelne Wörter von vollen Seiten & zerkaue sie müde; ihr weicher Kern schmeckt nach Seife & Regentonnenwasser – ich spucke seitenweise Literatur wieder aus, weil mein Magen, mein Gehirn, mein Herz nichts mehr halten. Überall ist die Nacht. Vergessen.
Den Verstand zu verlieren funktioniert anders, als sie sagen. Es ist kein Pochen & Schlagen, das Glas scheppert nicht im Rahmen. Viel mehr gibt etwas langsam nach. Der Boden wird weich unter den eigenen Füßen, die Wände rücken fort & geraten irgendwann ins Hintertreffen. Alles wird fern, gefühllos, die Haut & der Hunger, der steife Schwanz in der Hose & im fremden Mund: auf eine Kopie wird man geschrieben, übermalt & über die Linien hinaus – wie ein Strich, der den Kreis in zwei ungleiche Hälften teilt. Wer? Das ist Vielheit. Das bist nicht du, sondern der Andere. Tanzen hilft. Trinken auch. Nur nicht denken, das muss schon gehen. Für eine Weile hilft das. Dann schwappt es irgendwann über dich hinweg, dieses Andere, dieses Mittelmäßige. Es ist eine Flut, die sekundenweise steigt; sie reißt dich nicht fort, sie löst dich auf. Alles Wollen wird zur Hinrichtung. Deinen Kopf fordert das Weckerklingeln, die Blicke im Bus, das Treppenhaus mit seinen gebogenen Stufen. Überall rücken Fassaden in die Höhe. Du bist nichts als ein Versuch. Dein Leben nichts als eine Skizze. Nie wird man fertig, immer atmet jemand aus. Du lässt dich so ficken wie andere Leute den Staubsauger benutzen. Jemand greift dir in den Mund & holt Einzelnes nach draußen; sie nennen das Unterhaltung, weil: lachen kann man mit dir. Spaß haben, heiter sein, & voller Ahnung trübt sich der Blick schließlich bis zur Blindheit. Nein, das will keiner denken. Aber wenn das Bein unter der Tischplatte wippt, dann ist da diese Schwere in den Augen, die besagt, wie gleichgültig alles wird. Wie leer. Trinken hilft. Tanzen auch. Wieder auf die Uhr schauen, & sich fragen, wie lange es noch auf sich warten lässt, dieses Andere, das bessere Leben. Beim Bezahlen nur nicht die Hand des Kassierers berühren. Das Gemüse in Plastikbeutel packen. Sich bei anderen für Analsex entschuldigen. Der Kampf um Selbstvergessenheit führt zur Auflösung. So viel ist sicher. Nur will das niemand wahrhaben. Alle reden sich selbst gut zu, & verkaufen ihren Betrug an sich selbst als positive Lebenseinstellung. Die Wahrheit ist: Es geht anders. Der Exzess beweist es. Auszubrennen ist dabei mehr als nur eine Option; es ist ein Schicksal. Sich aufzubrauchen bis zur Erschöpfung, sich fallen zu lassen, aufzugeben. Restlos. Bis nichts mehr bleibt.