Der Auftritt der Antipoden

Ich fülle mir den Körper, der schwer ist an den Rändern & zerbrechlich bei jedem Schritt, mit Wahnsinn & Tanz, ich ersetze ihn durch einen rasenden Gott. Gibt mir wer Liebe, so reicht er mir Steine.

Die Frau in der S-Bahn sieht mich an, entsetzt & ohne Wimpernschlag, lange, lange – wägt sie ab, wie viel Sekunden ich es noch ertragen kann, ihr Augenblau, ihren Bürgschaftsblick? Ich weiß es nicht. So lange, wie ich allen Warnungen müde bin, so lange starr ich auch zurück. Irgendwann blinzelt sie ja doch, sieht runter auf ihren Schoß, wo die taz liegt – fein & dünn zurecht gelegt, an den Rändern passgenau für ihre Finger zusammengefaltet: Ein linkes Häppchen jetzt ganz mundgerecht. Maulsperre kriegt man allenfalls beim Schimpfen, & Gähnen. Ein beiges Jäckchen mit Kunstfell hat sie an, blaue Jeans mit weißer Naht, Gold am Hals & um ihr Handgelenk. Der Mann rechts neben ihr telefoniert. Ich sehe seine manikürten Hände – an jeder Hand zehn Ringfinger, & jeder Finger schwer von der eignen Haut -, und die Jack-Wolfskin-Jacke, Ray-Ban-Brille, das ergraute Haar glänzend glatt gegelt. Kopien von BWL-Studenten, Lehrbuchmenschen, Clichés. Wie sie sich um die Zukunft sorgen, als wär’s ihr Eigenfleisch&blut, als wär’s noch ihr Eigentum. Mild zürnen sie, wenn ihr Eigentum in Gefahr ist, abgewogen & bedächtig, intensiv im Abgang aber, ein Schierlingsbecher voll Wein, der beim Gespräch mit Freunden gegen die bauchigen Gläser schwappt, über die Ränder, auf Tischdecken & Hosen. Man muss ja was tun. Salz drauf schütten muss man. Vor & nach der Arbeit auf die Straße gehn, & Steine gegen die versicherten Gebäude & in jedes Schaufenster schmeißen – solange, wie die Rente nicht stimmt. Was, bitte, wer? Die Krankenversicherung gebührt eigentlich auch nur denen, die wirklich krank sind – nein? Zweihundertfünfzigeuro sind ja auch nicht zu viel für so ein bisschen Leben, für Überstunden, & für so ein Krebsleiden mit 67 Jahren bleibt auch später noch Zeit, ja?

Stattdessen: Ohne Atomkraft, ohne Öl soll man leben, & das Tier, einfoliert im besten Plastikkleid, nur aus dem besten Bioladen nehmen, weil des Metzgers Biobeile sind um Welten besser, mei, unterschätz doch nicht die Ernährung von so’em Rindvieh, gell! Bestes Bioheu auf Bioweiden mit Biohormonen, damit’s auch was auf die Rippen kriegt, gä? Abschaffen darf man das sinnlose Konsumieren, nicht die Produktion. Bitte nachdenken, Leute!, Mensch! Die Inhaltststoffe mit den Haushaltsstoffen vergleichen, die Konsverierungsmittel sich zurück ins Haar bürsten, aber nicht aufs Dinkelvollkorn-Brot schmieren, denn Gift ist nur für die nächsten Generationen gut, nicht für den kleinen Hunger zwischendurch. Lasst uns drüber diskutieren! Der Kapitalismus bekommt einfach neue Namen, dann wird’s schon recht sein.

Eine neue Ordnung braucht die Welt, & hier sind ihre Fugen: Leptis Magna, Jericho, Uruk.

Jeden Tag aufs Neue schütten sie Stille aus, & nennen’s Erkenntnis. Den kommenden Krieg unterschätzen? Niemals. Aber was tun? Wie lange noch warten? Sie stehn morgens in den S-Bahnen & sehn raus auf die Straßen, die bunt sind & leuchten. Wie viel Jahre schon ist Frieden in Zeiten des Krieges? Wie viele Winde kann man noch säen, um endlich einen vernünftigen Sturm zu ernten? Hat tatsächlich jemand ernsthaft daran geglaubt, wir könnten so schnell, so groß, so viel leben, & so wenig den anderen lassen – den dritten, denen, die weder Verse sind, noch Sturmflut, sondern die wie Götter durch sterbende Welten gehn, die mit ihren Gold- & Ascheblicken auf jede Ordnung blicken & sie kaputt sehn, die in ihren Worten glühen wie die Esse beim Schmied & tanzen im Chaos? Salz, los!, Salz nachschütten jetzt! & den Weinfleck unter sich begraben mit Schlagzeilen, in denen eigentlich nicht geschlagen wird, sondern nur gehetzt & getrieben – ein ganzes Volk treiben diese Worte von einem Lachen zum nächsten, & dazwischen: die Wut auf den Nächsten. Denn was du nicht begehren darfst, das musst du hassen. Angst musst du davor haben. Vor dir & deinem Nachbarn, der sich hinter einem Namen versteckt, & hinter einer Abwesenheit – alle sind wir damit beschäftigt, abwesend zu sein. Auf den Straßen geht der Blick immer nur Richtung Wollen & Warenangebot… Ist schon okay, sag’s schon, ist doch, nein? Jeden immer doppelt der Ordnung versichern: Mir. Geht’s. Gut. & wenn nicht, dann hat man immer noch den Ikea-Katalog. Da kann man sich dann hübsch einrichten, kann sich die Fenster verhängen, wenn die Straßen in Rauch & Asche liegen, fair trade Obst anschauen, heiter sein, sicher & geborgen in einer Angst von Morgen. Nur nichts verändern!

Die neue Generation will den Besitz der Eltern, nichts sonst. Sich selbst ein Eigentum sein reicht immerhin aus, um nicht mehr verlieren zu müssen. Sich & das Eigentum schützen soll man ja. Achtsam sein, aufmerksam. Nachts nicht zu lange im Dunkeln bleiben, denn das Dunkel könnte Zähne & Klauen haben, die Türen abschließen, nicht zu viel Geld mit sich führen. Sport treiben müsse man stattdessen, das schaffe Ventile. Ein Dampfkochtopf soll man werden, der regelmäßig isst & schläft, der auf einer Glücksskala von eins bis zehn die 7 ist. Damit er nicht stirbt vor lauter Glück, versteht sich. Hier der Tipp: Nicht allzu zufrieden sein, sich lieber kleine Ziele setzen – nur darin unermüdlich. Sich ins Glück beißen, sich festbeißen zur Not, & einfach nur stark genug zerren. Sportgymnastik für die Wutlosglücklichen. Was der Rest macht? Wen interessiert das schon. Solange keiner kommt, um mir etwas wegzunehmen. Aber identifizieren müsse man sich doch noch können, oder nicht? Mitte 20, männlich, sucht. Einen Platz zum Schlafen wohl kaum. Auch nichts zu essen. Wir suchen eine Hoffnung, die bleibt, einen Traum der Toten. Das Paradies hält nicht genügend zum Fressen bereit, also brennen wir alle Wälder nieder. Es wird schon gut werden… Mit genügend Salz wird man den Fleck schon klein genug kriegen. Wenn sie dann alle erstmal erstarrt sind, dann haben wir auch für jeden Flecken einen Menschen parat. Mehr müssen wir nicht wissen.

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